Peter Ochs war ein grosser und begeisterter Briefschreiber. Sie geben Einblicke in sein privates und öffentliches Leben, seine Überzeugungen und sein politisches Handeln. Ich stütze mich dabei auf die von Gustav Steiner herausgegebene «Korrespondenz des Peter Ochs». Das neueste Zitat finden Sie immer in der Rubrik «Aktuell».
9. März 1789: Peter Ochs in einem Brief an Leonhard Meister
«Je ne doute pas que vous ne soyez aussi attentifs à ce qui se passe en France que je le suis. Qui l’eut dit il y a cent ans, que la monarchie s’acheminerait ver la république?»
(Ich zweifle nicht, dass Sie nicht ebenso aufmerksam wie ich verfolgen, was in Frankreich sich abspielt. Wer hätte vor hundert Jahren gesagt, dass die Monarchie sich auf dem Weg zur Republik befindet?)
(Steiner, Korrespondenz, I, Nr. 138, S. 201)
4. August 1789: Peter Ochs an Philippe-Frédéric de Dietrich (1748–1793), seinen Schwager
«Dieu veuille que la calme se rétablisse bientôt [en Alsace]. Au reste, les orages des républiques (car ce nom convient maintenant bien plus à la France qu’à plusieurs de nos cantons) ces orages, dis-je, font plus de bruit que de mal, tandisque les machinations des cours despotes font plus de mal que de bruit.»
(Gott gebe, dass die Ruhe sich [im Elsass] bald wieder herstelle. Im Übrigen, die Gewitter der Republiken (denn dieser Name kommt jetzt Frankreich mehr zu als mehreren unserer Kantone), diese Gewitter, sage ich, machen mehr Lärm als Schaden; während hingegen die heimlichen Umtriebe der despotischen Höfe mehr Schaden anrichten als Lärm.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 147, S. 212)
4. August 1789: Peter Ochs an Philippe-Frédéric de Dietrich (1748–1793), seinen Schwager
«Que je suis impatient de lire votre nouvelle constitution! L’idée de parler des droits de l’homme avant tout est sublime. Dieu! et ici le premier chapitre parle du bourgmestre, et pas un mot des droits du citoyen, bien moins encore des paysans et de l’homme.»
(Wie ungeduldig bin ich, eure neue Verfassung zu lesen! Die Idee, von den Menschenrechten vor allem anderen [d.h. als Einleitung (Präambel) zur neuen Verfassung] zu sprechen, ist erhaben. Gott! Und hier spricht das erste Kapitel vom Bürgermeister, und kein Wort über die Rechte des Staatsbürgers, noch viel weniger der Bauern und des Menschen.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 147, S. 212–213)
Zum ersten Kapitel der Basler Verfassung um 1789, auf das Ochs anspielt, vgl. das sogenannte Verkommnis oder Fundamentalgesetz vom 23. Juli 1691, abgedruckt in Ochs’ Kantonsgeschichte, Bd. 7, S. 249−251, online auf e-rara unter: UB Basel / Geschichte der Stadt… [253 (e-rara.ch)
18. Juni 1790 Ochs an Leonhard Meister
«Je serais peut-être Stadtschreiber […] Au reste, il est encor incertain si j’y gagne, ou si j’y perds. Le Ratschreiber fait les Ratschläge, Bedenken et Aufsätze dans les matières importantes. Le Stadtschreiber n’est que protocoliste. Tous deux sont également éligibles pour les députations et les places de chefs. L’avantage du Stadtschreiber consiste en deux points: 1. Il ne vicarie pour personne; 2. Il est en même temps Deputat, c’est-à-dire un des quatre qui sont préposés pour l’université, le clergé et les écoles, ce qui met à même d’être utile et même d’avoir influence pour les élections. Au reste, comme les quatre chefs ne m’aiment point et m’occasionnent autant de petits désagréments qu’il est possible, je serais jamais ni heureux, ni utile dans une place subalterne.»
(Vielleicht werde ich Stadtschreiber […] Es ist im Übrigen noch unklar, ob ich dabei gewinne oder verliere. Der Ratschreiber setzt die Ratschläge, Bedenken und Aufsätze [d.h. die Anträge an den Grossen Rat und die Gutachten für die Regierung] auf in den wichtigsten Angelegenheiten. Der Stadtschreiber ist nur Protokollführer [der Regierung]. Beide sind aber wählbar zu Deputationen [d.h. Gesandtschaften] und als Häupter [d.h. Oberstzunftmeister oder Bürgermeister]. Das Stadtschreiberamt hat zwei Vorteile: 1. Er muss keine Stellvertretungen [anderer Beamter] übernehmen; 2. Er ist gleichzeitig Deputat, d.h einer der vier, die der Universität, der Pfarrerschaft und den Schulen vorgesetzt sind, sodass man gleichzeitig nützlich sein und Einfluss auf die [Pfarrer- und Lehrer-]Wahlen nehmen kann. Da die vier Häupter mich im Übrigen nicht lieben und keine Gelegenheit versäumen, mir kleine Unannehmlichkeiten zu bereiten, werde ich weder glücklich noch nützlich sein in einer Beamtenstelle.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 164, S. 236−237)
18. Juni 1790: Peter Ochs an Leonhard Meister
«Nos paysans se remuent aussi; on dit que nous allons recevoir un cahier de leurs griefs. Parbleu, il y a de quoi en dresser un. Je voudrais seulement qu’ils fussent bien conseillés. Ii ne m’appartient pas de les guider, mais, au moins, je me promets bien de les soutenir dans le cours des déliberations.»
(Unsere Bauern sind auch unruhig. Man sagt, dass wir bald eine Beschwerdeschrift von ihnen erhalten werden. Guter Gott! Es gibt genug, um sie zu füllen. Ich wünschte mir nur, dass sie gut beraten seien. Es steht mir nicht zu, sie anzuleiten, aber ich habe mir fest vorgenommen, sie wenigstens zu unterstützen in den Beratungen [im Grossen Rat].)
(Steiner, Korrespondenz, I, Nr. 164, S. 236)
Anmerkung: Die Bittschrift der Liestaler (heute: StABS Städte und Dörfer L 12a) gelangte im Juli 1790 an die Regierung in Basel, wurde dem Grossen Rat von dieser aber nicht einmal zur Beratung vorgeschlagen.
3. August 1790: Ochs an General Beat Fidel Zurlauben (1720–1799) in Zug
«Les habitants de Liestal en tiennent aussi du mal français. Samedi passé ont été lues au Conseil leurs doléances, qui ont été renvoyées au Conseil des XIII ou Conseil secret. On leur a annoncé qu’on ne s’en occuperait que dans quelques mois à cause de l’absence de plusieurs membres du gouvernement. L’article qui souffrira le plus de difficulté, c’est la liberté du commerce et des métiers qu’ils demandent. Je préfèrerais qu’ils eussent demandé à avoir des représentants dans le Grand Conseil; mais ils paraissent être en général plus intéressés qu’ambitieux, plus jaloux de vivre dans l’abondance que de gouverner. Je suis fort aise de cette petite fermentation, cela nous réveille et nous avons grand besoin.»
(Die Einwohner von Liestal sind auch ganz der französischen Krankheit verfallen. Letzten Samstag wurden im Rat ihre Beschwerden verlesen, die dem Dreizehner- oder geheimen Rat [d.h. der eigentlichen Regierung] überwiesen worden sind. Man hat ihnen mitgeteilt, dass man sich erst in einigen Monaten damit befassen werde, weil mehrere Regierungsmitglieder abwesend seien. Der Artikel, der am meisten Schwierigkeiten bieten wird, ist die Handels- und Gewerbefreiheit, die sie fordern. Ich hätte es vorgezogen, wenn sie Vertreter im Grossen Rat verlangt hätten; aber sie scheinen im Allgemeinen mehr auf einen materiellen Vorteil aus als ehrgeizig zu sein, mehr daran interessiert, im Wohlstand zu leben als zu regieren. Ich bin sehr erfreut über diese kleine Gärung, das weckt uns auf, und das haben wir sehr nötig.)
(Steiner, Korr. I, Nr. 167, S. 241)
Kommentar: Vgl. den Unterschied im Ton zum Brief vom 18. Juni 1790 an seinen Zürcher Freund und Vertrauten Leonhard Meister.
31. August 1790: Ochs an Leonhard Meister
«Messieurs de Berne me paraissent extrêmement inquiets. Le courrier a raconté que, dans l’Argovie, les gens étaient wie rasig [d.h. rasend], qu’on a couché a joue un pasteur qui a prêché en faveur de l’aristocratie. J’ai vu une lettre qui mande que les paysans de Genève demandent à être reconnus citoyens. – Au reste, il résulte de cette fermentation, que les gouvernements sont doux et font patte de velours. Pour moi, qui voit tout en beau pour l’avenir et qui ne serait content que lorsque l’égalité et la liberté représentative seront les maximes fondamentales de la société, je vous avouerai que je vois cette fermentation avec plaisir.»
(Die Herren von Bern scheinen mir äusserst beunruhigt. Die mit der Post kommenden Nachrichten [aus Bern] erzählten, dass im Aargau die Leute «wie rasig» [im Sinne von rasend, im Original deutsch] seien, dass man einen Pfarrer zu Boden geschlagen habe, der zu Gunsten der [Herrschaft der] Aristokratie gepredigt hatte. Ich habe einen Brief gesehen, der behauptet, die Genfer Bauern verlangten als [gleichberechtigte] Staatsbürger anerkannt zu werden. – Im Übrigen, das Resultat dieser Gärung ist, dass die Regierungen sich zurückhalten und mit Samthandschuhen vorgehen [im Französischen: eine pelzige Katzenpfote mit zurückgezogenen Krallen zeigen]. Für meinen Teil, der ich nur Gutes für die Zukunft voraussehe und mich nicht zufrieden geben werde, bis Gleichheit und repräsentative Freiheit die Grundmaximen der Gesellschaft sein werden, gestehe ich, dass ich diese Gärung mit Vergnügen sehe.)
(Steiner, Korr. I, Nr. 168, S. 242−243)
31. August 1790: Ochs an Leonhard Meister
«L’insurrection des troupes suisses à Nancy a recommencé de plus belle […] les officiers sont de nouveau aux arrêts. Voilà tout ce que j’en sais. − Les causes de ces insurrections sont enveloppées d’une voile épais […] Comme on sait d’ailleurs que les cantons ont la Révolution en horreur, il n’est pas étonnant que les démocrates [die Jakobiner, die die Abschaffung der Monarchie forderten] se méfient des officiers [notorisch antirevolutionär gesinnt]. Vous sauriez d’ailleurs que la reine [Marie Antoinette von Österreich] intrigue plus que jamais […] Je crois donc que les démocrates fomentent ces troubles afin que la cour ne puisse compter sur les troupes. Que savons-nous d’ailleurs si l’Angleterre [als Drahtzieher] n’est pas, dans tout ceci, derrière la toile.»
(Die Meuterei der Schweizer Truppen in Nancy hat wieder angefangen, noch besser als zuvor […] Die Offiziere sind erneut eingesperrt worden. Hier alles, was ich weiss […] Die Ursachen dieses Aufstandes sind von einem dichten Schleier verhüllt […] Da man ja weiss, dass die Kantone (d.h. deren Regierungen) die Revolution verabscheuen, ist es weiter nicht erstaunlich, dass die (französischen) Demokraten (die Jakobiner, die die Abschaffung der Monarchie forderten) den (antirevolutionär gesinnten Schweizer) Offizieren misstrauen. Sie werden im Übrigen ja wissen, dass die Königin (Marie Antoinette von Österreich) mehr den je ihre Intrigen spinnt […] Ich glaube deshalb, dass die Demokraten diese Unruhen schüren, damit der Hof sich nicht mehr auf die Truppen verlassen kann. Was wissen wir aber, ob nicht in all dem am Ende sich England (als Drahtzieher) hinter dem Schleier verbirgt.
(Steiner, Korr. I, Nr. 168, S. 241–242)
Kommentar: Die Tagsatzung hatte die Schweizer Regimenter bei Ausbruch der Revolution im Juli 1789 nicht zurückgerufen. Die antirevolutionäre Gesinnung der Offiziere und der Treueeid der Truppen auf den König führten nicht nur zu politischen Verwicklungen der Soldaten, sie stellten in den Augen der neuen französischen Regierung die Neutralität der Eidgenossenschaft selbst in Frage, Gefahren, die Ochs von Anfang an vorausgesehen hatte. Sie gipfelten in den blutigen Ereignissen des Tuileriensturms am 10. August 1792, da die Tagsatzung an ihrer Haltung festhielt.
9. Februar 1791: Ochs an Leonhard Meister
«L’êvèque de Bâle [Franz Joseph Sigismund von Roggenbach (1726−1794] a demandé le passage pour une ou deux compagnies de troupes impériales, le résident d’Autriche [Emanuel von Tassara] de même. Aujourd’hui le Conseil secret [der sog. Dreizehnerrat] en fera part au Petit Conseil. On avait espéré pouvoir détourner l’évêque de cette imprudente démarche, mais, hier au soir, il a fait renouveler sa demande. Il prétend n’être pas en surêté à Porrentruy [wegen der aufständischen Untertanen]. Mais je n’en suis pas la dupe. Avec ces deux compagnies en passeront d’autres et surtout les enrôlés et émigrants dont le Marquisat, la Forêt-Noire et Rheinfelden [vorderösterreichisches Gebiet] pullulent de tous côtés. – Dieu veuille que les cantons sentent l’importance et le danger des circonstances et nous encouragent à résister et viennent nous offrir du secours! Sans quoi nous sommes perdus. Les Autrichiens réussissent-ils, nous voilà enclavés dans l’Autriche et nous perdons le fruit de la politique de nos pères [Beitritt Basels zur Eidgenossenschaft 1501]; les Autrichiens sont-il repoussés, les Français se vengeront tôt ou tard de nous, pour n’avoir si mal défendu le passage [von Birsfelden an Basel vorbei ins Birseck] […] Dieu veuille que les cantons se rappellent qu’il faut que le territoire helvétique demeure terre sacrée et vierge! Sans quoi notre pauvre patrie deviendra le théâtre de toutes les guerres entre la France et l’Empire.»
(Der Fürstbischof von Basel hat um die Erlaubnis zum Durchmarsch von einer oder zwei kaiserlichen Kompagnien gebeten, ebenso der österreichische Gesandte in Basel. Heute wird der Geheime Rat diese Anfrage dem Kleinen Rat mitteilen. Man hatte gehofft, den Bischof von seinem unvorsichtigen Schritt abbringen zu können, aber gestern gegen Abend hat er sein Begehren wiederholt. Er behauptet in Porrentruy nicht sicher zu sein (wegen der aufständischen Untertanen). Aber das täuscht mich nicht. Auf diese beiden ersten Kompagnien werden weitere folgen, vor allem aber die angeworbenen Soldaten und die (royalistischen) Emigranten, von denen die Markgrafschaft, der Schwarzwald und Rheinfelden nur so wimmeln. Gott wolle, dass die Kantone die Wichtigkeit und die Gefahr der Umstände spüren und uns Mut machen zu widerstehen! Ohne dies, sind wir verloren. Sind die Österreicher erfolgreich, werden wir Österreich einverleibt und der Früchte der Politik unserer Väter beraubt (Beitritt zur Eidgenossenschaft 1501); werden die Österreicher zurückgeschlagen, werden sich die Franzosen früher oder später an uns rächen, weil wir die Passage (von Birsfelden ins Birseck) so schlecht verteidigt haben […] Gott wolle, dass die Kantone sich erinnern, dass das eidgenössische Territorium geheiligter und jungfräulicher Boden bleibt! Sonst wird unser armes Vaterland zum Theater aller Kriege zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich werden.»
Kommentar: Ochs rechnet mit einem Angriff Österreichs auf Frankreich vom Fürstbistum aus. Er spricht nicht nur die Gefahr an, die sich daraus für Basel ergibt; er sieht die Eidgenossenschaft als Ganzes bedroht und verteidigt deren Neutralität als in seinen Augen einzigen Schutz in der sich anbahnenden Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Österreich. Er setzt sich damit von der proösterreichischen Haltung Berns und der katholischen Kantone ab.
(Steiner, Korr. I, Nr. 177, S. 252−253)
15. Februar 1791: Ochs an Leonhard Meister
«Je ne doute pas que le refus du passage des Autrichiens n’ait fait manquer un nouveau plan de contre-révolution […] À propos: Un des chefs des enrôlements a dit dans une des auberges du Marquisat, en présence de trois citoyens d’ici, qu’on avait beau faire à Bâle, qu’ils auraient pourtant l’Alsace et qu’alors on dresserait une potence, à laquelle on attacherait Monsieur Ochs de Bâle. Voilà bien l’honneur qu’on me prépare.»
(«Ich zweifle nicht daran, dass die Verweigerung des Durchmarsches der Österreicher einen weiteren Plan für eine Gegenrevolution vereitelt hat […] Übrigens: Einer der Chefs der Anwerbungen [von Soldaten für den Dienst in royalistischen Regimentern] hat in einer der Herbergen in der Markgrafschaft, in Gegenwart von drei hiesigen Bürgern, gesagt, die Basler sollten nur tun, was sie nicht lassen könnten; sie würden dennoch das Elsass erobern, und dann werde man einen Galgen errichten, an dem man den Herrn Ochs von Basel aufhänge. Das sind die Ehrbezeugungen, die man für mich bereithält.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 179, S. 256–257)
Kommentar: Im Februar sah es noch so aus, als würde sich Ochs mit seiner Neutralitätspolitik nicht nur in Basel durchsetzen. Er hoffte auf eine Allianz Basels und Zürichs gegen die von Bern angeführte österreichische Partei in der Tagsatzung. Als Zürich dem österreichischen Druck nachgab, nahm auch die Basler Regierung ihren früheren Entschluss zurück und erlaubte den Durchmarsch doch. Ochs war desavouiert.
15. Mai 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Je ne puis m’empêcher de confier à VV. [Vôtres] EE. [Excellences] combien les dispositions de la plupart des habitants de ce pays et des membres du côté gauche [d.h. die Republikaner und radikalen Demokraten (Jakobiner)] de l’Assemblée nationale sont en général désavantageuses aux Suisses et particulièrement à Messieurs de Berne […] J’ai été bien surpris en allant ce matin chez M[onsieur] de la Fayette de voir son portier s’approcher de ma portière et me dire qu’il était de Porrentruy, me demander des nouvelles de mon pays et de me reprocher aussi poliment qu’il lui était possible de ce que nous avions accordé le passage aux Impériaux […] Cet état des choses est vraiment affligeant. Nous reprochons en Suisse aux Français de vouloir renverser nos constitutions, et les Français nous reprochent de vouloir renverser la leur.»
(«Ich kann es nicht vermeiden, Ihren Weisheiten [offzielle Ansprache der Häupter auf Deutsch] anzuvertrauen, wie unvorteilhaft die Haltung der Mehrheit der Einwohner dieses Landes und der Mitglieder der Linken [d.h. die Republikaner und radikalen Demokraten (Jakobiner)] in der Nationalversammlung im allgemeinen den Schweizern gegenüber ist, besonders aber gegenüber den Herren von Bern […] Als ich heute Morgen zu Herrn La Fayette fuhr, war ich sehr überrascht zu sehen, dass sich sein Pförtner meinem Kutschenverschlag näherte, um mir zu sagen, er sei von Porrentruy, mich nach Neuigkeiten aus meiner Heimat fragte und so höflich, wie es ihm nur möglich war, tadelte, dass wir den Durchmarsch der Kaiserlichen erlaubt hatten […] Diese Sachlage ist wirklich niederschmetternd. Wir in der Schweiz werfen den Franzosen vor, sie wollten unsere Verfassungen umstürzen, und die Franzosen klagen uns an, die ihre beseitigen zu wollen.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 188, S. 272 – 273)
Kommentar: Mit «Häupter» sind der Bürgermeister und der Oberstzunftmeister gemeint. Sie repräsentieren zusammen die Republik Basel und stehen der Regierung vor, dem Kleinen Rat. Ochs hielt sich im Mai 1791 im Auftrag der Basler Regierung in Paris auf, um über eine Entschädigung der verlorenen Zehnteinnahmen im Elsass zu verhandeln. Die Genehmigung des Durchmarschs kaiserlicher Truppen im März, die von Paris richtig als Misstrauen der Revolution gegenüber gedeutet wurde und die Ochs energisch bekämpft hatte, behinderte jetzt seine Mission.
22. Mai 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel [d.h. die Regierung]
«J’ai assisté ce matin à l’inauguration [zwischen 1685 und 1789 war die Ausübung des reformierten Glaubens verboten] de l’église des réformés [Saint-Louis du Louvre, 1811 abgerissen]; outre l’inscription en lettres d’or au-dessus de la grande porte, dont les feuilles publiques ont parlé, il y avait écrit à la porte «Oratoire pour les Chrétiens qui suivent la réforme de Calvin». Dans les chapelles de l’église et au fond du chœur, dont on a enlevé les images et tableaux, se trouvent les inscriptions suivantes: au fond, les commandements de Dieu [d.h. die 10 Gebote]; à droit, près du chœur, le symbole des Apôtres [d.h. das apostolische Glaubensbekenntnis], et vis-à-vis, les trois mots: Nation, foi et roi [zu diesem Zeitpunkt ist Frankreich noch eine konstitutionelle Monarchie]; près de la porte, les Droits de l’homme et du citoyen [d.h. die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789] et, vis-à-vis, l’oraison dominicale [d.h. das Vaterunser] On a laissé le superbe tombeau du cardinal [André Hercule] de Fleury qui ne s’attendait pas de son vivant à se voir un jour enterré dans une église hérétique […] Il y avait deux baptêmes; la liturgie a été changé: dans l’engagement des parents, on a appelé seulement au symbole des apôtres et à la Bible. Il y avait beaucoup de catholiques à l’église et tout s’est passé avec décence et respect.»
(Ich habe heute Morgen an der Einweihung der Kirche der Reformierten [Saint-Louis du Louvre, 1811 abgerissen] teilgenommen [zwischen 1685 und 1789 war die Ausübung des reformierten Glaubens in Frankreich verboten]. Ausser der Inschrift in goldenen Lettern, von der die öffentlichen Blätter gesprochen haben, stand an der Kirchentür: «Bethaus für die Christen, die der Reform Calvins folgen». In den Kapellen der [vorher katholischen] Kirche und hinten im Chor, wo alle Wandgemälde und hängenden Bilder entfernt worden waren, befinden sich folgende Inschriften: hinten im Chor die Zehn Gebote; rechts davon, nahe beim Chor, das Apostolische Glaubensbekenntnis, und gegenüber die drei Worte: Nation, Glaube und König [Frankreich war zu diesem Zeitpunkt noch eine konstitutionelle Monarchie]; bei der Eingangstüre sind die Menschen- und Bürgerrechte, und gegenüber das Vaterunser. Das wunderschöne Denkmal des Kardinals de Fleury hat man stehen lassen; er hatte zu seinen Lebzeiten nicht erwartet, eines Tages in einer Ketzerkirche begraben zu sein […] Es gab auch zwei Taufen; die Liturgie war aber verändert: Bei der Verpflichtung der Eltern wurde nur das Apostolische Bekenntnis und die Bibel angerufen. Viele Katholiken nahmen am Gottesdienst teil, und alles war von Anstand und Respekt geprägt.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 192, S. 277)
Kommentar: 1685 verbot Louis XIV. die Ausübung des reformierten Glaubens in Frankreich, wodurch alle Reformierten als Ungläubige von der katholischen Inquisition verfolgt werden konnten. Das Verbot löste eine Fluchtwelle aus. Ochs stammte mütterlicherseits aus einer Familie französischer Glaubensflüchtlinge und wuchs in Hamburg unter «Refugianten» auf, die als Calvinisten in der lutherischen Stadt nur geduldet waren. Auch in Basel gehörte er der calvinistischen «Église française» an. Ochs, ein gläubiger Christ, vertrat einen liberalen Calvinismus und trat für religiöse Toleranz ein. Im Text wird dies in der Beschreibung der Kirche und der Liturgie deutlich: obwohl calvinistisch geprägt, sind die in der Kirche und im Gottesdienst präsenten Texte allen christlichen Kirchen gemeinsam. Ochs interpretierte die Französische Revolution als von der göttlichen Vorsehung gewollter Fortschritt, der die Reformation weiterführte. Der Gegensatz zwischen religiösen Geboten, bürgerlicher Moral und staatlichen Gesetzen sollte aufgehoben werden.
24. Juni 1791, Paris: Ochs an Sara und Salome Birr in Basel, Tanten seiner Frau Salome geb. Vischer
«Vous saurez, chères tantes, que Monsieur [der Bruder von König Louis XVI, der spätere Louis XVIII] est arrivé à Mons [in Belgien], mais que le Roi et la reine, le dauphin, la petite Madame [Marie-Thérèse de France] et la sœur du Roi [Madame Elisabeth de France] ont été arrêtés à Varennes près Stenay, à six lieux de la frontière […] L’ordre et la sécurité publique règnent ici plus que jamais […] L’assemblée nationale a gagné par cet événement plus de confiance, d’amour et de respect de la part du peuple qu’elle n’en a jamais eu […] Ce qui doit beaucoup rassurer encore, c’est que l’expérience vient de prouver que tous les aristocrates n’avaient pas le même but. Une partie peut avoir désiré la guerre, l’autre nullement. Ceux-ci ne criaient et ne menaçaient que pour forcer l’Assemblée nationale à revenir sur plusieurs décrets, mais nullement pour exposer leurs propriétés et leurs vies aux dangers d’une guerre civile […] Enfin, l’on ne peut pas se figurer un plan plus mal imaginé […] Il a même servi à donner une énergie et une force de ralliement à la nation qui rendent moins redoutable les projets de l’étranger […].»
(Ihr wisst wohl, liebe Tanten, dass Monsieur [der Bruder von König Louis XVI., der spätere Louis XVIII.] nach Mons [in Belgien] gelangt ist, aber der König und die Königin, der Dauphin, die kleine Madame [Marie-Thérèse de France] und die Schwester des Königs [Madame Elisabeth de France] in Varennes bei Stenay verhaftet worden sind, nur sechs Meilen von der Grenze entfernt […] Öffentliche Ordnung und Sicherheit sind besser denn je hier [in Paris] […] Die Nationalversammlung hat sich durch dieses Ereignis mehr denn je das Vertrauen, die Liebe und den Respekt des Volkes erworben […] Noch beruhigender ist, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass die Aristokraten nicht alle dasselbe Ziel verfolgten. Ein Teil wollte wohl den Krieg, der andere um keinen Preis. Die Letzteren schrien und drohten nur, um die Nationalversammlung zur Rücknahme einiger Dekrete zu veranlassen; sie wollten aber auf keinen Fall ihre Besitzungen und ihre Leben der Gefahr eines Bürgerkrieges aussetzen […] Man kann sich endlich kaum einen schlechter ausgeheckten Plan vorstellen […] Er hat sogar dazu geführt, der Nation Energie und Kraft zu geben, sich als geschlossene Einheit zu formieren, was die Anschläge des Auslandes weniger gefährlich macht.»
(Steiner, Korr. I, Nr. 212, S. 291−293)
Kommentar: Louis XVI., der bisher mit der französischen Nationalversammlung zusammengearbeitet hatte, floh am 21. Juni 1791 aus Paris und bestätigte damit den Vorwurf der radikalen Demokraten, dass er mit den Monarchisten zusammenarbeite. Die Gefangennahme der königlichen Familie am 24. Juni in Varennes bedeutete einen entscheidenden Rückschlag für die monarchistische Opposition. Die Mehrheit der Pariser Bevölkerung unterstützte die Nationalversammlung, die ihre Handlungsfähigkeit bewies. Die Unruhen im Elsass und in Südfrankreich gefährdeten die neue Regierung nicht. Nach der Verhaftung am 24. Juni wurde nur noch die Frage diskutiert, ob Frankreich eine konstitutionelle Monarchie bleiben oder das Königtum ganz abschaffen und eine Republik werden sollte. Dass Louis XVI. abdanken musste, war keine Frage mehr.
11. Juli 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«P.S. J’ai vu arriver hier le convoi de Voltaire pour la grande cérémonie d’aujourd’hui [im Panthéon, der 1790 fertiggestellten, von der Nationalversammlung säkularisierten Kirche der ehemaligen Abtei Sainte-Geneviève]; ses ossements ont reposé cette nuit sur un autel au milieu des débris de la Bastille [zwischen Juli 1789 und Oktober 1790 bis auf wenige Reste abgerissen]. Quand je comparais hier l’appareil triomphal de cette entrée avec l’entrée du Roi et de sa famille [am 25. Juni 1791], quand je réfléchissais au contraste que m’offrait l’emplacement de la Bastille qui était un champ d’honneur, tandis que le palais du Roi sert à présent de Bastille au Roi lui-même, je ne pus me refuser à de tristes réflexions sur l’instabilité des choses humaines.»
(P.S. [Nachschrift] Ich habe gestern die Ankunft von Voltaires Geleitzug für die grosse Zeremonie von heute [im Panthéon der 1790 fertiggestellten, von der Nationalversammlung säkularisierten Kirche der ehemaligen Abtei Sainte-Geneviève] beobachtet; seine Gebeine ruhten diese Nacht auf einem Altar mitten in den kümmerlichen Resten der Bastille [zwischen Juli 1789 und Oktober 1790 bis auf die Grundmauern abgerissen]. Als ich gestern das triumphale Gepränge dieses Einzuges mit der Rückkehr des [gefangenen] Königs und seiner Familie [am 25. Juni 1791] verglich, wenn ich über den Kontrast nachdachte zwischen den Örtlichkeiten der Bastille [ehemalige Staatsgefängnis], heute einem Feld der Ehre, während der königliche Palast dem König gegenwärtig selbst als Gefängnis dient, konnte ich mich trauriger Überlegungen über die Vergänglichkeit der menschlichen Verhältnisse nicht erwehren.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 218, S. 300–301)
Kommentar: Diese Briefpassage in einem offiziellen Schreiben von Ochs an die Basler Regierung stellt stilistisch brillant den Triumpf der Revolution über die absolutistische Monarchie dar, den Sieg von Geist und Vernunft über die Willkür. Ochs versteckt seine Sympathien für die Revolution geschickt in formal traditionellen Überlegungen zur Vergänglichkeit. Er arbeitet mit Gegensätzen: Der triumphale Einzug der Gebeine Voltaires wird dem traurigen Einzug der königlichen Familie gegenübergestellt. Voltaire, selbst zweimal in der Bastille inhaftiert, wird auf einem Altar in den Trümmern der am 14. Juli 1789 gestürmten Bastille feierlich aufgebahrt, während der König in seinem eigenen Palast gefangen gehalten wird. Der König hat durch seine Flucht seine Ehre verloren, während Voltaire im Panthéon, der Ehrenhalle der Nation, beigesetzt wird.
12. Juli 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Si l’ancien régime vient à se rétablir, il sera facile sans doute de faire entendre au gouvernement que nous étions sous la loi du plus fort, comme le Roi l’avait lui-même été. Mais quelque forte que soit la crise actuelle, quelque incertain que paraisse l’issue, peut-on croire sérieusement au retour de l’ancien régime? Les chefs de la Révolution sont trop habiles, trop courageux et trop à l’abri de petites passions, quand il s’agit de consolider leur ouvrage pour douter de leur succès; quand je parle de crise, c’est l’abolition de la royauté que j’ai en vue.»
(«Falls das alte Herrschaftssystem [die absolute Monarchie] wieder hergestellt wird, wird es zweifellos einfach sein, der Regierung verständlich zu machen, dass wir dem Gesetz des Stärkeren unterstanden, wie der König selbst es war. Aber so heftig die aktuelle [politische] Krise sein mag, wie unsicher auch immer ihr Ausgang erscheinen mag, kann man ernsthaft an die Rückkehr der alten Regierungsverhältnisse glauben? Die Revolutionsführer sind zu geschickt, zu unerschrocken und zu weit entfernt von kleinlichen Leidenschaften, wenn es darum geht, ihr Werk zu festigen und zu sichern, um an ihrem Erfolg zu zweifeln; wenn ich von Krise spreche, ist es das Königtum, das ich im Blick habe.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 219, S. 302)
Kommentar: Ochs hatte klare Überzeugungen und Wertvorstellungen, aber sein Handeln als Politiker und Diplomat orientierte sich an den aktuellen Gegebenheiten. Mit diesem Brief versuchte Ochs, die Basler Regierung für eine taktische Zusammenarbeit mit der revolutionären Regierung zu gewinnen. Er glaubte zwar persönlich an die Revolution, aber als Amtsträger der Basler Regierung fühlte er sich in erster Linie dem Allgemeinwohl und der Sicherheit der Stadtrepublik Basel verpflichtet. Es war politisch unklug, die Revolution nicht ernst zu nehmen, auch wenn man die «alte Ordnung» verteidigte. Die Revolutionsführer waren zwar unter sich zerstritten, diese «kleinlichen Leidenschaften» liessen sie aber das gemeinsame Ziel nicht vergessen. Die Flucht und Gefangennahme des Königs im Juni 1791 hatten die Revolution gestärkt. In Paris wurde offen über die Abschaffung der Monarchie diskutiert (vgl. die Briefe vom 24. Juni und 11. Juli 1791 in «Aus Ochs’ Briefen»). Es war für einen an Frankreich angrenzenden Stadtstaat gefährlich, ausschliesslich auf die Restauration der Monarchie zu setzen, wie dies die Basler Regierung immer noch tat.
18. und 19. Juli 1791: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«[18. Juli:] La crise […] a éclaté hier. Des insensés, indignés de la conduite du Roi [d.h. Flucht der königlichen Familie], avaient été mis en mouvement par des factieux qui, feignant de donner dans leur sens, les portaient à réclamer contre le décret de l’Assemblée nationale [d.h. den Beschluss, den König nicht abzusetzen], mais avaient comme but de dissoudre cette assemblée […] Ils étaient rassemblés au Champ-de-Mars; ils s’échauffèrent au point de se jurer réciproquement de ne point reconnaître Louis XVI et de se rendre, à ce qu’on prétend, à la salle de l’Assemblée nationale, pour lui déclarer leurs intentions. Comme ils étaient armés de pistolets, de frondes et de pierres, et qu’ils refusaient de se séparer, on fut obligé de publier la loi martiale. La municipalité, M[onsieur] de la Fayette et une partie de la garde nationale, étant arrivés avec le drapeau rouge [Warnsignal, dass scharf geschossen würde], furent assaillis par une grêle de pierre et une décharge générale des pistolets. Mais la garde ayant fait feu, plus de quarante des factieux furent couchés sur le carreau, et près de quatre-vingts furent blessés. Le reste prit la fuite […] Sur le champ on battit la générale, et toute la ville se mit en mesure pour prévenir les suites de cet événement. La nuit s’est passée tranquillement […] [19. Juli:] Tout est tranquille ici […] pendant l’événement même du Champ-de-Mars le monde resta à l’opéra jusqu’à la fin du spectacle; les distances des lieux contribuent beaucoup à l’étonnante sécurité des habitants de cette ville […]»
(«[18. Juli:] Gestern ist die Krise ausgebrochen […] Unvernünftige, aufgebracht über das Verhalten des Königs [d.h. die Flucht der königlichen Familie] waren von Aufrührern aufgestachelt worden, die vorgaben, in ihrem Sinne zu handeln, und sie dazu brachten, gegen das Dekret der Nationalversammlung [d.h. den Beschluss, den König nicht abzusetzen] zu protestieren, aber eigentlich darauf abzielten, die Nationalversammlung aufzulösen […] Sie waren auf dem Marsfeld versammelt; die Gemüter erhitzten sich bis zum Punkt, dass sie sich gegenseitig schworen, König Louis XVI. auf keinen Fall anzuerkennen und sich in den Saal der Nationalversammlung zu begeben, wie man behauptet, um dort ihr Begehren vorzutragen. Da sie mit Pistolen, Steinschleudern und Steinen bewaffnet waren und sie sich weigerten, sich zu zerstreuen, war man gezwungen, das Kriegsrecht auszurufen. Als die [Männer der] Stadtverwaltung, Herr La Fayette und eine Abteilung der Nationalgarde mit der roten Flagge [Warnsignal, dass scharf geschossen würde] ankamen, wurden sie mit einem Steinhagel und einer Salve Pistolenschüsse empfangen. Als die Garden daraufhin aber das Feuer erwiderten, blieben mehr als vierzig der Aufständischen auf dem Pflaster liegen und über achtzig wurden verletzt. Der Rest ergriff die Flucht […] Auf der Stelle wurde überall Alarm geschlagen, und die ganze Stadt ergriff die nötigen Massnahmen, um das weitere Ausgreifen dieses Ereignisses zu verhindern. Während der Nacht blieb alles ruhig […] [19. Juli:] Alles ist ruhig hier […] Selbst während des Zwischenfalls auf dem Marsfeld blieben die Leute bis zum Ende der Vorstellung im Theater. Die Distanzen zwischen den Örtlichkeiten tragen sehr zur erstaunlichen Sicherheit der Bewohner in dieser Stadt bei […]».
(Steiner, Korr. I, Nr. 230, S. 303 und Nr. 231, S. 304 – 305)
Kommentar: Ochs beschreibt in den Briefen vom 18. und 19. Juli das sog. Massaker auf dem Marsfeld vom 17. Juli 1791. Der Protest richtete sich gegen den Beschluss der Nationalversammlung vom 15. Juli, König Louis XVI − trotz seines Fluchtversuchs − nicht abzusetzen. Ochs hatte diese «Krise» erwartet (vgl. Brief vom 12. Juli 1791). Die demokratisch gesinnten Jakobiner unter dem Taktiker Robespierre hatten zwar zugestimmt, aber die radikaleren Cordeliers hatten sich dagegen ausgesprochen. Sie begannen, den Widerstand in der Pariser Bevölkerung zu organisieren, den – so vermutete Ochs – auch die Royalisten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchten, um die Nationalversammlung zu destabilisieren. Die Unruhen weiteten sich jedoch nicht zu einem Aufstand aus. Das Massaker kostete aber General Lafayette, Oberkommandant der Nationalgarden und populärer Held der Revolution, sein Ansehen in der Bevölkerung und schwächte mittelfristig die Position der Gemässigten im Parlament und leitete so die Radikalisierung der Revolution ein.
1. August 1791: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Le décret du samedi [vom 30. Juli, auf Antrag von Armand-Gaston Camus] sur les ordres de la chevalerie et sur la confirmation de la suppression de la noblesse [vgl. Text in «Gazette nationale», letzte Seite, mittlere Spalte oben] ôte toute espoir de conciliation [zwischen König und republikanischem Flügel der Nationalversammlung], et rend à mes yeux l’état de la France plus que précaire. C’est bien aussi ce qui me porte à prier V[otres] E[xcellences] de vouloir bien me permettre de retourner à Bâle […] Je prie V[otres] E[xcellences] de me pardonner une démarche que je n’aurais pas hasardée si je n’avais eu que ma personne en vue. Mais dans le temps de troubles il est impossible de suivre une négociation et, n’étant plus utile ici à Messeigneurs, il m’est permit de songer que je suis père, et que mon éloignement dans des circonstances aussi critiques alarme à juste titre ma famille et influe sur l’état de sa santé.»
(Steiner, Korr. I, Nr. 224, S. 308)
(Das Dekret vom Samstag [vom 30. Juli, auf Antrag von Armand-Gaston Camus] über den Ritterstand und die Abschaffung des Adels [Text in «Gazette nationale» siehe hier, letzte Seite, mittlere Spalte oben] beseitigt jede Hoffnung auf Versöhnung [zwischen König und republikanischem Flügel der Nationalversammlung] und macht in meinen Augen den Zustand Frankreichs mehr als prekär. Dies veranlasst mich auch, Ihre Exzellenzen zu bitten, mir gnädigst die Rückkehr nach Basel zu erlauben […] Ich bitte Ihre Exzellenzen, mir einen Schritt zu verzeihen, den ich nie zu unternehmen gewagt hätte, wenn ich nur meine Person im Blick gehabt hätte. Aber in Zeiten politischer Unrast ist es unmöglich, Verhandlungen zu führen, und, da ich meinen gnädigen Herren hier nicht mehr von Nutzen sein kann, sei es mir erlaubt, daran zu denken, dass ich Vater bin und dass meine Abwesenheit in so kritischen Zeitumständen meine Familie verständlicherweise beunruhigt und ihr Wohlbefinden beeinflusst.»)
Kommentar: Bereits zwei Tage später widerrief Ochs seinen Wunsch, nach Basel zurückzukehren: «La lettre que j’ai eu l’honneur d’écrire […] se ressentait d’un de ces moments d’hypocondrie [d.h. «Milzsucht» oder Melancholie, die Krankheit der Intellektuellen, im Sinne der alten Humoralmedizin], auxquels je suis souvent sujet. Je les prie de me la pardonner et de la regarder comme non avenue (vgl. Steiner, Korr. I, Nr. 225, S. 309: «Der Brief, den ich die Ehre hatte zu schreiben […] entstand aus einer Anwandlung von Hypochondrie [d.h. «Milzsucht» oder Melancholie, die Krankheit der Intellektuellen, im Sinne der alten Humoralmedizin], an der ich öfter leide. Ich bitte Sie, mir diesen [Brief] zu verzeihen und wie nie geschrieben zu betrachten»). Ochs war weder ein Hypochonder noch litt er an Depressionen. Wollte er nicht den Eindruck erwecken, dass ihm seine Vaterpflichten wichtiger waren als seine Amtspflichten oder dass er die Kompetenz seiner Vorgesetzten in Frage stellte? Wir kennen seine Motive nicht. Es fehlen die Quellen. Trotzdem wird gerade diese Briefpassage in der älteren Literatur immer wieder als Beleg für Ochs’ instabilen Charakter herangezogen.
Mai 1792, Strassburg: Sibylle Louise de Dietrich-Ochs (1755−1806) an ihren Bruder Peter in Basel
«Je te dirais que, depuis quelques jours, je ne fais que copier et transcrire de la musique, occupation qui m’amuse et me distrait beaucoup, surtout dans ce moment où partout on ne cause et ne discute que politique de tout genre. Comme tu sais que nous recevons beaucoup de monde et qu’il faut toujours inventer quelque chose […] mon mari [Philippe-Frédéric de Dietrich, damals Bürgermeister von Strassburg] a imaginé de faire composer un chant de circonstance. Le capitaine de génie Rouget de Lisle, un poète et compositeur fort aimable, a rapidement fait la musique du chant de guerre [pour l’armée du Rhin, d.h. die Marseillaise]. Mon mari, qui est un bon ténor, a chanté le morceau qui est fort entraînant et d’une certaine originalité […] Moi, de mon côté, j’ai mis mon talent d’orchestration en jeu, j’ai arrangé les partitions sur le clavecin et autres instruments […] Je t’envoie la copie de la musique. Les petits virtuoses qui t’entourent [d.h. Ochs’ Kinder Albert, Friedrich, Wilhelm und Emma) n’auront qu’à la déchiffrer, et tu seras charmé d’entendre le morceau [hier].»
(Ich sage Dir, seit einige Tagen kopiere und transponiere ich nichts als Musik, eine Beschäftigung, die mir Spass macht und mich sehr ablenkt, besonders jetzt, wo überall nur über politische Fragen aller Art geplaudert und diskutiert wird. Da wir, wie du wohl weisst, viele Gäste haben und man sich immer etwas einfallen lassen muss […] hatte mein Mann [Philippe-Frédéric de Dietrich, damals Bürgermeister von Strassburg] die Idee, ein Lied, das zu den Zeitumständen passt, in Auftrag zu geben. Der Hauptmann der Genietruppen Rouget de Lisle, ein liebenswürdiger Dichter und Komponist, hat rasch die Musik zum Kriegsgesang [für die Rheinarmee, d.h. die Marseillaise] verfasst. Mein Mann, ein guter Tenor, hat das Stück vorgetragen, das sehr mitreissend ist und eine gewisse Originalität hat […] Ich meinerseits habe mein Talent zum Orchestrieren ins Spiel gebracht. Ich habe die Stimmen für das Cembalo und andere Instrumente arrangiert […] Ich schicke Dir eine Kopie der Musik. Die kleinen Virtuosen, die dich umgeben [d.h. Ochs’ Kinder Albert, Friedrich, Wilhelm und Emma], müssen sie nur entziffern, und du wirst entzückt sein, das Stück zu hören.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 285, S. 353)
Kommentar: Am 20. April hatte Louis XVI. Österreich den Krieg erklärt. Damit begann der sog. Erste Koalitionskrieg. In Strassburg sammelten sich Teile der französischen Rheinarmee, der Rouget de Lisle angehörte. Der «Kriegsgesang für die Rheinarmee», später Marseillaise genannt, war ursprünglich als monarchistische Vaterlandshymne gedacht, nicht als republikanische. Am 26. April kam es im Haus de Dietrich zur Uraufführung, am 29. April wurde das Lied erstmals öffentlich gesungen. Dank seiner Schwester Sibylle kam Ochs rasch in Besitz von Text und Noten. Verbreitung und öffentliches Absingen des Liedes wurden in Basel sofort verboten.
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