Peter Ochs war ein grosser und begeisterter Briefschreiber. Sie geben Einblicke in sein privates und öffentliches Leben, seine Überzeugungen und sein politisches Handeln. Ich stütze mich dabei auf die von Gustav Steiner herausgegebene «Korrespondenz des Peter Ochs». Das neueste Zitat finden Sie immer in der Rubrik «Aktuell».
9. März 1789: Peter Ochs in einem Brief an Leonhard Meister
«Je ne doute pas que vous ne soyez aussi attentifs à ce qui se passe en France que je le suis. Qui l’eut dit il y a cent ans, que la monarchie s’acheminerait ver la république?»
(Ich zweifle nicht, dass Sie nicht ebenso aufmerksam wie ich verfolgen, was in Frankreich sich abspielt. Wer hätte vor hundert Jahren gesagt, dass die Monarchie sich auf dem Weg zur Republik befindet?)
(Steiner, Korrespondenz, I, Nr. 138, S. 201)
4. August 1789: Peter Ochs an Philippe-Frédéric de Dietrich (1748–1793), seinen Schwager
«Dieu veuille que la calme se rétablisse bientôt [en Alsace]. Au reste, les orages des républiques (car ce nom convient maintenant bien plus à la France qu’à plusieurs de nos cantons) ces orages, dis-je, font plus de bruit que de mal, tandisque les machinations des cours despotes font plus de mal que de bruit.»
(Gott gebe, dass die Ruhe sich [im Elsass] bald wieder herstelle. Im Übrigen, die Gewitter der Republiken (denn dieser Name kommt jetzt Frankreich mehr zu als mehreren unserer Kantone), diese Gewitter, sage ich, machen mehr Lärm als Schaden; während hingegen die heimlichen Umtriebe der despotischen Höfe mehr Schaden anrichten als Lärm.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 147, S. 212)
4. August 1789: Peter Ochs an Philippe-Frédéric de Dietrich (1748–1793), seinen Schwager
«Que je suis impatient de lire votre nouvelle constitution! L’idée de parler des droits de l’homme avant tout est sublime. Dieu! et ici le premier chapitre parle du bourgmestre, et pas un mot des droits du citoyen, bien moins encore des paysans et de l’homme.»
(Wie ungeduldig bin ich, eure neue Verfassung zu lesen! Die Idee, von den Menschenrechten vor allem anderen [d.h. als Einleitung (Präambel) zur neuen Verfassung] zu sprechen, ist erhaben. Gott! Und hier spricht das erste Kapitel vom Bürgermeister, und kein Wort über die Rechte des Staatsbürgers, noch viel weniger der Bauern und des Menschen.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 147, S. 212–213)
Zum ersten Kapitel der Basler Verfassung um 1789, auf das Ochs anspielt, vgl. das sogenannte Verkommnis oder Fundamentalgesetz vom 23. Juli 1691, abgedruckt in Ochs’ Kantonsgeschichte, Bd. 7, S. 249−251, online auf e-rara unter: UB Basel / Geschichte der Stadt… [253 (e-rara.ch)
18. Juni 1790 Ochs an Leonhard Meister
«Je serais peut-être Stadtschreiber […] Au reste, il est encor incertain si j’y gagne, ou si j’y perds. Le Ratschreiber fait les Ratschläge, Bedenken et Aufsätze dans les matières importantes. Le Stadtschreiber n’est que protocoliste. Tous deux sont également éligibles pour les députations et les places de chefs. L’avantage du Stadtschreiber consiste en deux points: 1. Il ne vicarie pour personne; 2. Il est en même temps Deputat, c’est-à-dire un des quatre qui sont préposés pour l’université, le clergé et les écoles, ce qui met à même d’être utile et même d’avoir influence pour les élections. Au reste, comme les quatre chefs ne m’aiment point et m’occasionnent autant de petits désagréments qu’il est possible, je serais jamais ni heureux, ni utile dans une place subalterne.»
(Vielleicht werde ich Stadtschreiber […] Es ist im Übrigen noch unklar, ob ich dabei gewinne oder verliere. Der Ratschreiber setzt die Ratschläge, Bedenken und Aufsätze [d.h. die Anträge an den Grossen Rat und die Gutachten für die Regierung] auf in den wichtigsten Angelegenheiten. Der Stadtschreiber ist nur Protokollführer [der Regierung]. Beide sind aber wählbar zu Deputationen [d.h. Gesandtschaften] und als Häupter [d.h. Oberstzunftmeister oder Bürgermeister]. Das Stadtschreiberamt hat zwei Vorteile: 1. Er muss keine Stellvertretungen [anderer Beamter] übernehmen; 2. Er ist gleichzeitig Deputat, d.h einer der vier, die der Universität, der Pfarrerschaft und den Schulen vorgesetzt sind, sodass man gleichzeitig nützlich sein und Einfluss auf die [Pfarrer- und Lehrer-]Wahlen nehmen kann. Da die vier Häupter mich im Übrigen nicht lieben und keine Gelegenheit versäumen, mir kleine Unannehmlichkeiten zu bereiten, werde ich weder glücklich noch nützlich sein in einer Beamtenstelle.)
(Steiner, Korrespondenz I, Nr. 164, S. 236−237)
18. Juni 1790: Peter Ochs an Leonhard Meister
«Nos paysans se remuent aussi; on dit que nous allons recevoir un cahier de leurs griefs. Parbleu, il y a de quoi en dresser un. Je voudrais seulement qu’ils fussent bien conseillés. Ii ne m’appartient pas de les guider, mais, au moins, je me promets bien de les soutenir dans le cours des déliberations.»
(Unsere Bauern sind auch unruhig. Man sagt, dass wir bald eine Beschwerdeschrift von ihnen erhalten werden. Guter Gott! Es gibt genug, um sie zu füllen. Ich wünschte mir nur, dass sie gut beraten seien. Es steht mir nicht zu, sie anzuleiten, aber ich habe mir fest vorgenommen, sie wenigstens zu unterstützen in den Beratungen [im Grossen Rat].)
(Steiner, Korrespondenz, I, Nr. 164, S. 236)
Anmerkung: Die Bittschrift der Liestaler (heute: StABS Städte und Dörfer L 12a) gelangte im Juli 1790 an die Regierung in Basel, wurde dem Grossen Rat von dieser aber nicht einmal zur Beratung vorgeschlagen.
3. August 1790: Ochs an General Beat Fidel Zurlauben (1720–1799) in Zug
«Les habitants de Liestal en tiennent aussi du mal français. Samedi passé ont été lues au Conseil leurs doléances, qui ont été renvoyées au Conseil des XIII ou Conseil secret. On leur a annoncé qu’on ne s’en occuperait que dans quelques mois à cause de l’absence de plusieurs membres du gouvernement. L’article qui souffrira le plus de difficulté, c’est la liberté du commerce et des métiers qu’ils demandent. Je préfèrerais qu’ils eussent demandé à avoir des représentants dans le Grand Conseil; mais ils paraissent être en général plus intéressés qu’ambitieux, plus jaloux de vivre dans l’abondance que de gouverner. Je suis fort aise de cette petite fermentation, cela nous réveille et nous avons grand besoin.»
(Die Einwohner von Liestal sind auch ganz der französischen Krankheit verfallen. Letzten Samstag wurden im Rat ihre Beschwerden verlesen, die dem Dreizehner- oder geheimen Rat [d.h. der eigentlichen Regierung] überwiesen worden sind. Man hat ihnen mitgeteilt, dass man sich erst in einigen Monaten damit befassen werde, weil mehrere Regierungsmitglieder abwesend seien. Der Artikel, der am meisten Schwierigkeiten bieten wird, ist die Handels- und Gewerbefreiheit, die sie fordern. Ich hätte es vorgezogen, wenn sie Vertreter im Grossen Rat verlangt hätten; aber sie scheinen im Allgemeinen mehr auf einen materiellen Vorteil aus als ehrgeizig zu sein, mehr daran interessiert, im Wohlstand zu leben als zu regieren. Ich bin sehr erfreut über diese kleine Gärung, das weckt uns auf, und das haben wir sehr nötig.)
(Steiner, Korr. I, Nr. 167, S. 241)
Kommentar: Vgl. den Unterschied im Ton zum Brief vom 18. Juni 1790 an seinen Zürcher Freund und Vertrauten Leonhard Meister.
31. August 1790: Ochs an Leonhard Meister
«Messieurs de Berne me paraissent extrêmement inquiets. Le courrier a raconté que, dans l’Argovie, les gens étaient wie rasig [d.h. rasend], qu’on a couché a joue un pasteur qui a prêché en faveur de l’aristocratie. J’ai vu une lettre qui mande que les paysans de Genève demandent à être reconnus citoyens. – Au reste, il résulte de cette fermentation, que les gouvernements sont doux et font patte de velours. Pour moi, qui voit tout en beau pour l’avenir et qui ne serait content que lorsque l’égalité et la liberté représentative seront les maximes fondamentales de la société, je vous avouerai que je vois cette fermentation avec plaisir.»
(Die Herren von Bern scheinen mir äusserst beunruhigt. Die mit der Post kommenden Nachrichten [aus Bern] erzählten, dass im Aargau die Leute «wie rasig» [im Sinne von rasend, im Original deutsch] seien, dass man einen Pfarrer zu Boden geschlagen habe, der zu Gunsten der [Herrschaft der] Aristokratie gepredigt hatte. Ich habe einen Brief gesehen, der behauptet, die Genfer Bauern verlangten als [gleichberechtigte] Staatsbürger anerkannt zu werden. – Im Übrigen, das Resultat dieser Gärung ist, dass die Regierungen sich zurückhalten und mit Samthandschuhen vorgehen [im Französischen: eine pelzige Katzenpfote mit zurückgezogenen Krallen zeigen]. Für meinen Teil, der ich nur Gutes für die Zukunft voraussehe und mich nicht zufrieden geben werde, bis Gleichheit und repräsentative Freiheit die Grundmaximen der Gesellschaft sein werden, gestehe ich, dass ich diese Gärung mit Vergnügen sehe.)
(Steiner, Korr. I, Nr. 168, S. 242−243)
31. August 1790: Ochs an Leonhard Meister
«L’insurrection des troupes suisses à Nancy a recommencé de plus belle […] les officiers sont de nouveau aux arrêts. Voilà tout ce que j’en sais. − Les causes de ces insurrections sont enveloppées d’une voile épais […] Comme on sait d’ailleurs que les cantons ont la Révolution en horreur, il n’est pas étonnant que les démocrates [die Jakobiner, die die Abschaffung der Monarchie forderten] se méfient des officiers [notorisch antirevolutionär gesinnt]. Vous sauriez d’ailleurs que la reine [Marie Antoinette von Österreich] intrigue plus que jamais […] Je crois donc que les démocrates fomentent ces troubles afin que la cour ne puisse compter sur les troupes. Que savons-nous d’ailleurs si l’Angleterre [als Drahtzieher] n’est pas, dans tout ceci, derrière la toile.»
(Die Meuterei der Schweizer Truppen in Nancy hat wieder angefangen, noch besser als zuvor […] Die Offiziere sind erneut eingesperrt worden. Hier alles, was ich weiss […] Die Ursachen dieses Aufstandes sind von einem dichten Schleier verhüllt […] Da man ja weiss, dass die Kantone (d.h. deren Regierungen) die Revolution verabscheuen, ist es weiter nicht erstaunlich, dass die (französischen) Demokraten (die Jakobiner, die die Abschaffung der Monarchie forderten) den (antirevolutionär gesinnten Schweizer) Offizieren misstrauen. Sie werden im Übrigen ja wissen, dass die Königin (Marie Antoinette von Österreich) mehr den je ihre Intrigen spinnt […] Ich glaube deshalb, dass die Demokraten diese Unruhen schüren, damit der Hof sich nicht mehr auf die Truppen verlassen kann. Was wissen wir aber, ob nicht in all dem am Ende sich England (als Drahtzieher) hinter dem Schleier verbirgt.
(Steiner, Korr. I, Nr. 168, S. 241–242)
Kommentar: Die Tagsatzung hatte die Schweizer Regimenter bei Ausbruch der Revolution im Juli 1789 nicht zurückgerufen. Die antirevolutionäre Gesinnung der Offiziere und der Treueeid der Truppen auf den König führten nicht nur zu politischen Verwicklungen der Soldaten, sie stellten in den Augen der neuen französischen Regierung die Neutralität der Eidgenossenschaft selbst in Frage, Gefahren, die Ochs von Anfang an vorausgesehen hatte. Sie gipfelten in den blutigen Ereignissen des Tuileriensturms am 10. August 1792, da die Tagsatzung an ihrer Haltung festhielt.
9. Februar 1791: Ochs an Leonhard Meister
«L’êvèque de Bâle [Franz Joseph Sigismund von Roggenbach (1726−1794] a demandé le passage pour une ou deux compagnies de troupes impériales, le résident d’Autriche [Emanuel von Tassara] de même. Aujourd’hui le Conseil secret [der sog. Dreizehnerrat] en fera part au Petit Conseil. On avait espéré pouvoir détourner l’évêque de cette imprudente démarche, mais, hier au soir, il a fait renouveler sa demande. Il prétend n’être pas en surêté à Porrentruy [wegen der aufständischen Untertanen]. Mais je n’en suis pas la dupe. Avec ces deux compagnies en passeront d’autres et surtout les enrôlés et émigrants dont le Marquisat, la Forêt-Noire et Rheinfelden [vorderösterreichisches Gebiet] pullulent de tous côtés. – Dieu veuille que les cantons sentent l’importance et le danger des circonstances et nous encouragent à résister et viennent nous offrir du secours! Sans quoi nous sommes perdus. Les Autrichiens réussissent-ils, nous voilà enclavés dans l’Autriche et nous perdons le fruit de la politique de nos pères [Beitritt Basels zur Eidgenossenschaft 1501]; les Autrichiens sont-il repoussés, les Français se vengeront tôt ou tard de nous, pour n’avoir si mal défendu le passage [von Birsfelden an Basel vorbei ins Birseck] […] Dieu veuille que les cantons se rappellent qu’il faut que le territoire helvétique demeure terre sacrée et vierge! Sans quoi notre pauvre patrie deviendra le théâtre de toutes les guerres entre la France et l’Empire.»
(Der Fürstbischof von Basel hat um die Erlaubnis zum Durchmarsch von einer oder zwei kaiserlichen Kompagnien gebeten, ebenso der österreichische Gesandte in Basel. Heute wird der Geheime Rat diese Anfrage dem Kleinen Rat mitteilen. Man hatte gehofft, den Bischof von seinem unvorsichtigen Schritt abbringen zu können, aber gestern gegen Abend hat er sein Begehren wiederholt. Er behauptet in Porrentruy nicht sicher zu sein (wegen der aufständischen Untertanen). Aber das täuscht mich nicht. Auf diese beiden ersten Kompagnien werden weitere folgen, vor allem aber die angeworbenen Soldaten und die (royalistischen) Emigranten, von denen die Markgrafschaft, der Schwarzwald und Rheinfelden nur so wimmeln. Gott wolle, dass die Kantone die Wichtigkeit und die Gefahr der Umstände spüren und uns Mut machen zu widerstehen! Ohne dies, sind wir verloren. Sind die Österreicher erfolgreich, werden wir Österreich einverleibt und der Früchte der Politik unserer Väter beraubt (Beitritt zur Eidgenossenschaft 1501); werden die Österreicher zurückgeschlagen, werden sich die Franzosen früher oder später an uns rächen, weil wir die Passage (von Birsfelden ins Birseck) so schlecht verteidigt haben […] Gott wolle, dass die Kantone sich erinnern, dass das eidgenössische Territorium geheiligter und jungfräulicher Boden bleibt! Sonst wird unser armes Vaterland zum Theater aller Kriege zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich werden.»
Kommentar: Ochs rechnet mit einem Angriff Österreichs auf Frankreich vom Fürstbistum aus. Er spricht nicht nur die Gefahr an, die sich daraus für Basel ergibt; er sieht die Eidgenossenschaft als Ganzes bedroht und verteidigt deren Neutralität als in seinen Augen einzigen Schutz in der sich anbahnenden Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Österreich. Er setzt sich damit von der proösterreichischen Haltung Berns und der katholischen Kantone ab.
(Steiner, Korr. I, Nr. 177, S. 252−253)
15. Februar 1791: Ochs an Leonhard Meister
«Je ne doute pas que le refus du passage des Autrichiens n’ait fait manquer un nouveau plan de contre-révolution […] À propos: Un des chefs des enrôlements a dit dans une des auberges du Marquisat, en présence de trois citoyens d’ici, qu’on avait beau faire à Bâle, qu’ils auraient pourtant l’Alsace et qu’alors on dresserait une potence, à laquelle on attacherait Monsieur Ochs de Bâle. Voilà bien l’honneur qu’on me prépare.»
(«Ich zweifle nicht daran, dass die Verweigerung des Durchmarsches der Österreicher einen weiteren Plan für eine Gegenrevolution vereitelt hat […] Übrigens: Einer der Chefs der Anwerbungen [von Soldaten für den Dienst in royalistischen Regimentern] hat in einer der Herbergen in der Markgrafschaft, in Gegenwart von drei hiesigen Bürgern, gesagt, die Basler sollten nur tun, was sie nicht lassen könnten; sie würden dennoch das Elsass erobern, und dann werde man einen Galgen errichten, an dem man den Herrn Ochs von Basel aufhänge. Das sind die Ehrbezeugungen, die man für mich bereithält.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 179, S. 256–257)
Kommentar: Im Februar sah es noch so aus, als würde sich Ochs mit seiner Neutralitätspolitik nicht nur in Basel durchsetzen. Er hoffte auf eine Allianz Basels und Zürichs gegen die von Bern angeführte österreichische Partei in der Tagsatzung. Als Zürich dem österreichischen Druck nachgab, nahm auch die Basler Regierung ihren früheren Entschluss zurück und erlaubte den Durchmarsch doch. Ochs war desavouiert.
15. Mai 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Je ne puis m’empêcher de confier à VV. [Vôtres] EE. [Excellences] combien les dispositions de la plupart des habitants de ce pays et des membres du côté gauche [d.h. die Republikaner und radikalen Demokraten (Jakobiner)] de l’Assemblée nationale sont en général désavantageuses aux Suisses et particulièrement à Messieurs de Berne […] J’ai été bien surpris en allant ce matin chez M[onsieur] de la Fayette de voir son portier s’approcher de ma portière et me dire qu’il était de Porrentruy, me demander des nouvelles de mon pays et de me reprocher aussi poliment qu’il lui était possible de ce que nous avions accordé le passage aux Impériaux […] Cet état des choses est vraiment affligeant. Nous reprochons en Suisse aux Français de vouloir renverser nos constitutions, et les Français nous reprochent de vouloir renverser la leur.»
(«Ich kann es nicht vermeiden, Ihren Weisheiten [offzielle Ansprache der Häupter auf Deutsch] anzuvertrauen, wie unvorteilhaft die Haltung der Mehrheit der Einwohner dieses Landes und der Mitglieder der Linken [d.h. die Republikaner und radikalen Demokraten (Jakobiner)] in der Nationalversammlung im allgemeinen den Schweizern gegenüber ist, besonders aber gegenüber den Herren von Bern […] Als ich heute Morgen zu Herrn La Fayette fuhr, war ich sehr überrascht zu sehen, dass sich sein Pförtner meinem Kutschenverschlag näherte, um mir zu sagen, er sei von Porrentruy, mich nach Neuigkeiten aus meiner Heimat fragte und so höflich, wie es ihm nur möglich war, tadelte, dass wir den Durchmarsch der Kaiserlichen erlaubt hatten […] Diese Sachlage ist wirklich niederschmetternd. Wir in der Schweiz werfen den Franzosen vor, sie wollten unsere Verfassungen umstürzen, und die Franzosen klagen uns an, die ihre beseitigen zu wollen.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 188, S. 272 – 273)
Kommentar: Mit «Häupter» sind der Bürgermeister und der Oberstzunftmeister gemeint. Sie repräsentieren zusammen die Republik Basel und stehen der Regierung vor, dem Kleinen Rat. Ochs hielt sich im Mai 1791 im Auftrag der Basler Regierung in Paris auf, um über eine Entschädigung der verlorenen Zehnteinnahmen im Elsass zu verhandeln. Die Genehmigung des Durchmarschs kaiserlicher Truppen im März, die von Paris richtig als Misstrauen der Revolution gegenüber gedeutet wurde und die Ochs energisch bekämpft hatte, behinderte jetzt seine Mission.
22. Mai 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel [d.h. die Regierung]
«J’ai assisté ce matin à l’inauguration [zwischen 1685 und 1789 war die Ausübung des reformierten Glaubens verboten] de l’église des réformés [Saint-Louis du Louvre, 1811 abgerissen]; outre l’inscription en lettres d’or au-dessus de la grande porte, dont les feuilles publiques ont parlé, il y avait écrit à la porte «Oratoire pour les Chrétiens qui suivent la réforme de Calvin». Dans les chapelles de l’église et au fond du chœur, dont on a enlevé les images et tableaux, se trouvent les inscriptions suivantes: au fond, les commandements de Dieu [d.h. die 10 Gebote]; à droit, près du chœur, le symbole des Apôtres [d.h. das apostolische Glaubensbekenntnis], et vis-à-vis, les trois mots: Nation, foi et roi [zu diesem Zeitpunkt ist Frankreich noch eine konstitutionelle Monarchie]; près de la porte, les Droits de l’homme et du citoyen [d.h. die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789] et, vis-à-vis, l’oraison dominicale [d.h. das Vaterunser] On a laissé le superbe tombeau du cardinal [André Hercule] de Fleury qui ne s’attendait pas de son vivant à se voir un jour enterré dans une église hérétique […] Il y avait deux baptêmes; la liturgie a été changé: dans l’engagement des parents, on a appelé seulement au symbole des apôtres et à la Bible. Il y avait beaucoup de catholiques à l’église et tout s’est passé avec décence et respect.»
(Ich habe heute Morgen an der Einweihung der Kirche der Reformierten [Saint-Louis du Louvre, 1811 abgerissen] teilgenommen [zwischen 1685 und 1789 war die Ausübung des reformierten Glaubens in Frankreich verboten]. Ausser der Inschrift in goldenen Lettern, von der die öffentlichen Blätter gesprochen haben, stand an der Kirchentür: «Bethaus für die Christen, die der Reform Calvins folgen». In den Kapellen der [vorher katholischen] Kirche und hinten im Chor, wo alle Wandgemälde und hängenden Bilder entfernt worden waren, befinden sich folgende Inschriften: hinten im Chor die Zehn Gebote; rechts davon, nahe beim Chor, das Apostolische Glaubensbekenntnis, und gegenüber die drei Worte: Nation, Glaube und König [Frankreich war zu diesem Zeitpunkt noch eine konstitutionelle Monarchie]; bei der Eingangstüre sind die Menschen- und Bürgerrechte, und gegenüber das Vaterunser. Das wunderschöne Denkmal des Kardinals de Fleury hat man stehen lassen; er hatte zu seinen Lebzeiten nicht erwartet, eines Tages in einer Ketzerkirche begraben zu sein […] Es gab auch zwei Taufen; die Liturgie war aber verändert: Bei der Verpflichtung der Eltern wurde nur das Apostolische Bekenntnis und die Bibel angerufen. Viele Katholiken nahmen am Gottesdienst teil, und alles war von Anstand und Respekt geprägt.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 192, S. 277)
Kommentar: 1685 verbot Louis XIV. die Ausübung des reformierten Glaubens in Frankreich, wodurch alle Reformierten als Ungläubige von der katholischen Inquisition verfolgt werden konnten. Das Verbot löste eine Fluchtwelle aus. Ochs stammte mütterlicherseits aus einer Familie französischer Glaubensflüchtlinge und wuchs in Hamburg unter «Refugianten» auf, die als Calvinisten in der lutherischen Stadt nur geduldet waren. Auch in Basel gehörte er der calvinistischen «Église française» an. Ochs, ein gläubiger Christ, vertrat einen liberalen Calvinismus und trat für religiöse Toleranz ein. Im Text wird dies in der Beschreibung der Kirche und der Liturgie deutlich: obwohl calvinistisch geprägt, sind die in der Kirche und im Gottesdienst präsenten Texte allen christlichen Kirchen gemeinsam. Ochs interpretierte die Französische Revolution als von der göttlichen Vorsehung gewollter Fortschritt, der die Reformation weiterführte. Der Gegensatz zwischen religiösen Geboten, bürgerlicher Moral und staatlichen Gesetzen sollte aufgehoben werden.
24. Juni 1791, Paris: Ochs an Sara und Salome Birr in Basel, Tanten seiner Frau Salome geb. Vischer
«Vous saurez, chères tantes, que Monsieur [der Bruder von König Louis XVI, der spätere Louis XVIII] est arrivé à Mons [in Belgien], mais que le Roi et la reine, le dauphin, la petite Madame [Marie-Thérèse de France] et la sœur du Roi [Madame Elisabeth de France] ont été arrêtés à Varennes près Stenay, à six lieux de la frontière […] L’ordre et la sécurité publique règnent ici plus que jamais […] L’assemblée nationale a gagné par cet événement plus de confiance, d’amour et de respect de la part du peuple qu’elle n’en a jamais eu […] Ce qui doit beaucoup rassurer encore, c’est que l’expérience vient de prouver que tous les aristocrates n’avaient pas le même but. Une partie peut avoir désiré la guerre, l’autre nullement. Ceux-ci ne criaient et ne menaçaient que pour forcer l’Assemblée nationale à revenir sur plusieurs décrets, mais nullement pour exposer leurs propriétés et leurs vies aux dangers d’une guerre civile […] Enfin, l’on ne peut pas se figurer un plan plus mal imaginé […] Il a même servi à donner une énergie et une force de ralliement à la nation qui rendent moins redoutable les projets de l’étranger […].»
(Ihr wisst wohl, liebe Tanten, dass Monsieur [der Bruder von König Louis XVI., der spätere Louis XVIII.] nach Mons [in Belgien] gelangt ist, aber der König und die Königin, der Dauphin, die kleine Madame [Marie-Thérèse de France] und die Schwester des Königs [Madame Elisabeth de France] in Varennes bei Stenay verhaftet worden sind, nur sechs Meilen von der Grenze entfernt […] Öffentliche Ordnung und Sicherheit sind besser denn je hier [in Paris] […] Die Nationalversammlung hat sich durch dieses Ereignis mehr denn je das Vertrauen, die Liebe und den Respekt des Volkes erworben […] Noch beruhigender ist, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass die Aristokraten nicht alle dasselbe Ziel verfolgten. Ein Teil wollte wohl den Krieg, der andere um keinen Preis. Die Letzteren schrien und drohten nur, um die Nationalversammlung zur Rücknahme einiger Dekrete zu veranlassen; sie wollten aber auf keinen Fall ihre Besitzungen und ihre Leben der Gefahr eines Bürgerkrieges aussetzen […] Man kann sich endlich kaum einen schlechter ausgeheckten Plan vorstellen […] Er hat sogar dazu geführt, der Nation Energie und Kraft zu geben, sich als geschlossene Einheit zu formieren, was die Anschläge des Auslandes weniger gefährlich macht.»
(Steiner, Korr. I, Nr. 212, S. 291−293)
Kommentar: Louis XVI., der bisher mit der französischen Nationalversammlung zusammengearbeitet hatte, floh am 21. Juni 1791 aus Paris und bestätigte damit den Vorwurf der radikalen Demokraten, dass er mit den Monarchisten zusammenarbeite. Die Gefangennahme der königlichen Familie am 24. Juni in Varennes bedeutete einen entscheidenden Rückschlag für die monarchistische Opposition. Die Mehrheit der Pariser Bevölkerung unterstützte die Nationalversammlung, die ihre Handlungsfähigkeit bewies. Die Unruhen im Elsass und in Südfrankreich gefährdeten die neue Regierung nicht. Nach der Verhaftung am 24. Juni wurde nur noch die Frage diskutiert, ob Frankreich eine konstitutionelle Monarchie bleiben oder das Königtum ganz abschaffen und eine Republik werden sollte. Dass Louis XVI. abdanken musste, war keine Frage mehr.
11. Juli 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«P.S. J’ai vu arriver hier le convoi de Voltaire pour la grande cérémonie d’aujourd’hui [im Panthéon, der 1790 fertiggestellten, von der Nationalversammlung säkularisierten Kirche der ehemaligen Abtei Sainte-Geneviève]; ses ossements ont reposé cette nuit sur un autel au milieu des débris de la Bastille [zwischen Juli 1789 und Oktober 1790 bis auf wenige Reste abgerissen]. Quand je comparais hier l’appareil triomphal de cette entrée avec l’entrée du Roi et de sa famille [am 25. Juni 1791], quand je réfléchissais au contraste que m’offrait l’emplacement de la Bastille qui était un champ d’honneur, tandis que le palais du Roi sert à présent de Bastille au Roi lui-même, je ne pus me refuser à de tristes réflexions sur l’instabilité des choses humaines.»
(P.S. [Nachschrift] Ich habe gestern die Ankunft von Voltaires Geleitzug für die grosse Zeremonie von heute [im Panthéon der 1790 fertiggestellten, von der Nationalversammlung säkularisierten Kirche der ehemaligen Abtei Sainte-Geneviève] beobachtet; seine Gebeine ruhten diese Nacht auf einem Altar mitten in den kümmerlichen Resten der Bastille [zwischen Juli 1789 und Oktober 1790 bis auf die Grundmauern abgerissen]. Als ich gestern das triumphale Gepränge dieses Einzuges mit der Rückkehr des [gefangenen] Königs und seiner Familie [am 25. Juni 1791] verglich, wenn ich über den Kontrast nachdachte zwischen den Örtlichkeiten der Bastille [ehemalige Staatsgefängnis], heute einem Feld der Ehre, während der königliche Palast dem König gegenwärtig selbst als Gefängnis dient, konnte ich mich trauriger Überlegungen über die Vergänglichkeit der menschlichen Verhältnisse nicht erwehren.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 218, S. 300–301)
Kommentar: Diese Briefpassage in einem offiziellen Schreiben von Ochs an die Basler Regierung stellt stilistisch brillant den Triumpf der Revolution über die absolutistische Monarchie dar, den Sieg von Geist und Vernunft über die Willkür. Ochs versteckt seine Sympathien für die Revolution geschickt in formal traditionellen Überlegungen zur Vergänglichkeit. Er arbeitet mit Gegensätzen: Der triumphale Einzug der Gebeine Voltaires wird dem traurigen Einzug der königlichen Familie gegenübergestellt. Voltaire, selbst zweimal in der Bastille inhaftiert, wird auf einem Altar in den Trümmern der am 14. Juli 1789 gestürmten Bastille feierlich aufgebahrt, während der König in seinem eigenen Palast gefangen gehalten wird. Der König hat durch seine Flucht seine Ehre verloren, während Voltaire im Panthéon, der Ehrenhalle der Nation, beigesetzt wird.
12. Juli 1791, Paris: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Si l’ancien régime vient à se rétablir, il sera facile sans doute de faire entendre au gouvernement que nous étions sous la loi du plus fort, comme le Roi l’avait lui-même été. Mais quelque forte que soit la crise actuelle, quelque incertain que paraisse l’issue, peut-on croire sérieusement au retour de l’ancien régime? Les chefs de la Révolution sont trop habiles, trop courageux et trop à l’abri de petites passions, quand il s’agit de consolider leur ouvrage pour douter de leur succès; quand je parle de crise, c’est l’abolition de la royauté que j’ai en vue.»
(«Falls das alte Herrschaftssystem [die absolute Monarchie] wieder hergestellt wird, wird es zweifellos einfach sein, der Regierung verständlich zu machen, dass wir dem Gesetz des Stärkeren unterstanden, wie der König selbst es war. Aber so heftig die aktuelle [politische] Krise sein mag, wie unsicher auch immer ihr Ausgang erscheinen mag, kann man ernsthaft an die Rückkehr der alten Regierungsverhältnisse glauben? Die Revolutionsführer sind zu geschickt, zu unerschrocken und zu weit entfernt von kleinlichen Leidenschaften, wenn es darum geht, ihr Werk zu festigen und zu sichern, um an ihrem Erfolg zu zweifeln; wenn ich von Krise spreche, ist es das Königtum, das ich im Blick habe.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 219, S. 302)
Kommentar: Ochs hatte klare Überzeugungen und Wertvorstellungen, aber sein Handeln als Politiker und Diplomat orientierte sich an den aktuellen Gegebenheiten. Mit diesem Brief versuchte Ochs, die Basler Regierung für eine taktische Zusammenarbeit mit der revolutionären Regierung zu gewinnen. Er glaubte zwar persönlich an die Revolution, aber als Amtsträger der Basler Regierung fühlte er sich in erster Linie dem Allgemeinwohl und der Sicherheit der Stadtrepublik Basel verpflichtet. Es war politisch unklug, die Revolution nicht ernst zu nehmen, auch wenn man die «alte Ordnung» verteidigte. Die Revolutionsführer waren zwar unter sich zerstritten, diese «kleinlichen Leidenschaften» liessen sie aber das gemeinsame Ziel nicht vergessen. Die Flucht und Gefangennahme des Königs im Juni 1791 hatten die Revolution gestärkt. In Paris wurde offen über die Abschaffung der Monarchie diskutiert (vgl. die Briefe vom 24. Juni und 11. Juli 1791 in «Aus Ochs’ Briefen»). Es war für einen an Frankreich angrenzenden Stadtstaat gefährlich, ausschliesslich auf die Restauration der Monarchie zu setzen, wie dies die Basler Regierung immer noch tat.
18. und 19. Juli 1791: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«[18. Juli:] La crise […] a éclaté hier. Des insensés, indignés de la conduite du Roi [d.h. Flucht der königlichen Familie], avaient été mis en mouvement par des factieux qui, feignant de donner dans leur sens, les portaient à réclamer contre le décret de l’Assemblée nationale [d.h. den Beschluss, den König nicht abzusetzen], mais avaient comme but de dissoudre cette assemblée […] Ils étaient rassemblés au Champ-de-Mars; ils s’échauffèrent au point de se jurer réciproquement de ne point reconnaître Louis XVI et de se rendre, à ce qu’on prétend, à la salle de l’Assemblée nationale, pour lui déclarer leurs intentions. Comme ils étaient armés de pistolets, de frondes et de pierres, et qu’ils refusaient de se séparer, on fut obligé de publier la loi martiale. La municipalité, M[onsieur] de la Fayette et une partie de la garde nationale, étant arrivés avec le drapeau rouge [Warnsignal, dass scharf geschossen würde], furent assaillis par une grêle de pierre et une décharge générale des pistolets. Mais la garde ayant fait feu, plus de quarante des factieux furent couchés sur le carreau, et près de quatre-vingts furent blessés. Le reste prit la fuite […] Sur le champ on battit la générale, et toute la ville se mit en mesure pour prévenir les suites de cet événement. La nuit s’est passée tranquillement […] [19. Juli:] Tout est tranquille ici […] pendant l’événement même du Champ-de-Mars le monde resta à l’opéra jusqu’à la fin du spectacle; les distances des lieux contribuent beaucoup à l’étonnante sécurité des habitants de cette ville […]»
(«[18. Juli:] Gestern ist die Krise ausgebrochen […] Unvernünftige, aufgebracht über das Verhalten des Königs [d.h. die Flucht der königlichen Familie] waren von Aufrührern aufgestachelt worden, die vorgaben, in ihrem Sinne zu handeln, und sie dazu brachten, gegen das Dekret der Nationalversammlung [d.h. den Beschluss, den König nicht abzusetzen] zu protestieren, aber eigentlich darauf abzielten, die Nationalversammlung aufzulösen […] Sie waren auf dem Marsfeld versammelt; die Gemüter erhitzten sich bis zum Punkt, dass sie sich gegenseitig schworen, König Louis XVI. auf keinen Fall anzuerkennen und sich in den Saal der Nationalversammlung zu begeben, wie man behauptet, um dort ihr Begehren vorzutragen. Da sie mit Pistolen, Steinschleudern und Steinen bewaffnet waren und sie sich weigerten, sich zu zerstreuen, war man gezwungen, das Kriegsrecht auszurufen. Als die [Männer der] Stadtverwaltung, Herr La Fayette und eine Abteilung der Nationalgarde mit der roten Flagge [Warnsignal, dass scharf geschossen würde] ankamen, wurden sie mit einem Steinhagel und einer Salve Pistolenschüsse empfangen. Als die Garden daraufhin aber das Feuer erwiderten, blieben mehr als vierzig der Aufständischen auf dem Pflaster liegen und über achtzig wurden verletzt. Der Rest ergriff die Flucht […] Auf der Stelle wurde überall Alarm geschlagen, und die ganze Stadt ergriff die nötigen Massnahmen, um das weitere Ausgreifen dieses Ereignisses zu verhindern. Während der Nacht blieb alles ruhig […] [19. Juli:] Alles ist ruhig hier […] Selbst während des Zwischenfalls auf dem Marsfeld blieben die Leute bis zum Ende der Vorstellung im Theater. Die Distanzen zwischen den Örtlichkeiten tragen sehr zur erstaunlichen Sicherheit der Bewohner in dieser Stadt bei […]».
(Steiner, Korr. I, Nr. 230, S. 303 und Nr. 231, S. 304 – 305)
Kommentar: Ochs beschreibt in den Briefen vom 18. und 19. Juli das sog. Massaker auf dem Marsfeld vom 17. Juli 1791. Der Protest richtete sich gegen den Beschluss der Nationalversammlung vom 15. Juli, König Louis XVI − trotz seines Fluchtversuchs − nicht abzusetzen. Ochs hatte diese «Krise» erwartet (vgl. Brief vom 12. Juli 1791). Die demokratisch gesinnten Jakobiner unter dem Taktiker Robespierre hatten zwar zugestimmt, aber die radikaleren Cordeliers hatten sich dagegen ausgesprochen. Sie begannen, den Widerstand in der Pariser Bevölkerung zu organisieren, den – so vermutete Ochs – auch die Royalisten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchten, um die Nationalversammlung zu destabilisieren. Die Unruhen weiteten sich jedoch nicht zu einem Aufstand aus. Das Massaker kostete aber General Lafayette, Oberkommandant der Nationalgarden und populärer Held der Revolution, sein Ansehen in der Bevölkerung und schwächte mittelfristig die Position der Gemässigten im Parlament und leitete so die Radikalisierung der Revolution ein.
1. August 1791: Ochs an die Häupter des Standes Basel
«Le décret du samedi [vom 30. Juli, auf Antrag von Armand-Gaston Camus] sur les ordres de la chevalerie et sur la confirmation de la suppression de la noblesse [vgl. Text in «Gazette nationale», letzte Seite, mittlere Spalte oben] ôte toute espoir de conciliation [zwischen König und republikanischem Flügel der Nationalversammlung], et rend à mes yeux l’état de la France plus que précaire. C’est bien aussi ce qui me porte à prier V[otres] E[xcellences] de vouloir bien me permettre de retourner à Bâle […] Je prie V[otres] E[xcellences] de me pardonner une démarche que je n’aurais pas hasardée si je n’avais eu que ma personne en vue. Mais dans le temps de troubles il est impossible de suivre une négociation et, n’étant plus utile ici à Messeigneurs, il m’est permit de songer que je suis père, et que mon éloignement dans des circonstances aussi critiques alarme à juste titre ma famille et influe sur l’état de sa santé.»
(Steiner, Korr. I, Nr. 224, S. 308)
(Das Dekret vom Samstag [vom 30. Juli, auf Antrag von Armand-Gaston Camus] über den Ritterstand und die Abschaffung des Adels [Text in «Gazette nationale» siehe hier, letzte Seite, mittlere Spalte oben] beseitigt jede Hoffnung auf Versöhnung [zwischen König und republikanischem Flügel der Nationalversammlung] und macht in meinen Augen den Zustand Frankreichs mehr als prekär. Dies veranlasst mich auch, Ihre Exzellenzen zu bitten, mir gnädigst die Rückkehr nach Basel zu erlauben […] Ich bitte Ihre Exzellenzen, mir einen Schritt zu verzeihen, den ich nie zu unternehmen gewagt hätte, wenn ich nur meine Person im Blick gehabt hätte. Aber in Zeiten politischer Unrast ist es unmöglich, Verhandlungen zu führen, und, da ich meinen gnädigen Herren hier nicht mehr von Nutzen sein kann, sei es mir erlaubt, daran zu denken, dass ich Vater bin und dass meine Abwesenheit in so kritischen Zeitumständen meine Familie verständlicherweise beunruhigt und ihr Wohlbefinden beeinflusst.»)
Kommentar: Bereits zwei Tage später widerrief Ochs seinen Wunsch, nach Basel zurückzukehren: «La lettre que j’ai eu l’honneur d’écrire […] se ressentait d’un de ces moments d’hypocondrie [d.h. «Milzsucht» oder Melancholie, die Krankheit der Intellektuellen, im Sinne der alten Humoralmedizin], auxquels je suis souvent sujet. Je les prie de me la pardonner et de la regarder comme non avenue (vgl. Steiner, Korr. I, Nr. 225, S. 309: «Der Brief, den ich die Ehre hatte zu schreiben […] entstand aus einer Anwandlung von Hypochondrie [d.h. «Milzsucht» oder Melancholie, die Krankheit der Intellektuellen, im Sinne der alten Humoralmedizin], an der ich öfter leide. Ich bitte Sie, mir diesen [Brief] zu verzeihen und wie nie geschrieben zu betrachten»). Ochs war weder ein Hypochonder noch litt er an Depressionen. Wollte er nicht den Eindruck erwecken, dass ihm seine Vaterpflichten wichtiger waren als seine Amtspflichten oder dass er die Kompetenz seiner Vorgesetzten in Frage stellte? Wir kennen seine Motive nicht. Es fehlen die Quellen. Trotzdem wird gerade diese Briefpassage in der älteren Literatur immer wieder als Beleg für Ochs’ instabilen Charakter herangezogen.
Mai 1792, Strassburg: Sibylle Louise de Dietrich-Ochs (1755−1806) an ihren Bruder Peter in Basel
«Je te dirais que, depuis quelques jours, je ne fais que copier et transcrire de la musique, occupation qui m’amuse et me distrait beaucoup, surtout dans ce moment où partout on ne cause et ne discute que politique de tout genre. Comme tu sais que nous recevons beaucoup de monde et qu’il faut toujours inventer quelque chose […] mon mari [Philippe-Frédéric de Dietrich, damals Bürgermeister von Strassburg] a imaginé de faire composer un chant de circonstance. Le capitaine de génie Rouget de Lisle, un poète et compositeur fort aimable, a rapidement fait la musique du chant de guerre [pour l’armée du Rhin, d.h. die Marseillaise]. Mon mari, qui est un bon ténor, a chanté le morceau qui est fort entraînant et d’une certaine originalité […] Moi, de mon côté, j’ai mis mon talent d’orchestration en jeu, j’ai arrangé les partitions sur le clavecin et autres instruments […] Je t’envoie la copie de la musique. Les petits virtuoses qui t’entourent [d.h. Ochs’ Kinder Albert, Friedrich, Wilhelm und Emma) n’auront qu’à la déchiffrer, et tu seras charmé d’entendre le morceau [hier].»
(Ich sage Dir, seit einige Tagen kopiere und transponiere ich nichts als Musik, eine Beschäftigung, die mir Spass macht und mich sehr ablenkt, besonders jetzt, wo überall nur über politische Fragen aller Art geplaudert und diskutiert wird. Da wir, wie du wohl weisst, viele Gäste haben und man sich immer etwas einfallen lassen muss […] hatte mein Mann [Philippe-Frédéric de Dietrich, damals Bürgermeister von Strassburg] die Idee, ein Lied, das zu den Zeitumständen passt, in Auftrag zu geben. Der Hauptmann der Genietruppen Rouget de Lisle, ein liebenswürdiger Dichter und Komponist, hat rasch die Musik zum Kriegsgesang [für die Rheinarmee, d.h. die Marseillaise] verfasst. Mein Mann, ein guter Tenor, hat das Stück vorgetragen, das sehr mitreissend ist und eine gewisse Originalität hat […] Ich meinerseits habe mein Talent zum Orchestrieren ins Spiel gebracht. Ich habe die Stimmen für das Cembalo und andere Instrumente arrangiert […] Ich schicke Dir eine Kopie der Musik. Die kleinen Virtuosen, die dich umgeben [d.h. Ochs’ Kinder Albert, Friedrich, Wilhelm und Emma], müssen sie nur entziffern, und du wirst entzückt sein, das Stück zu hören.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 285, S. 353)
Kommentar: Am 20. April hatte Louis XVI. Österreich den Krieg erklärt. Damit begann der sog. Erste Koalitionskrieg. In Strassburg sammelten sich Teile der französischen Rheinarmee, der Rouget de Lisle angehörte. Der «Kriegsgesang für die Rheinarmee», später Marseillaise genannt, war ursprünglich als monarchistische Vaterlandshymne gedacht, nicht als republikanische. Am 26. April kam es im Haus de Dietrich zur Uraufführung, am 29. April wurde das Lied erstmals öffentlich gesungen. Dank seiner Schwester Sibylle kam Ochs rasch in Besitz von Text und Noten. Verbreitung und öffentliches Absingen des Liedes wurden in Basel sofort verboten.
11. September 1792: Ochs an Leonhard Meister in Zürich
«Tranquillisez-vous pour ma sœur [Sibylle de Dietrich-Ochs]. Elle est arrivée hier ici, avec son mari [Philippe-Frédéric de Dietrich] et son fils [Fritz], sous le nom de Didier. Ils ont passé [von Metz aus] par Deux-Ponts [Zweibrücken], Francfort, Schaffhouse et Rheinfelden. Ils avaient des passeports de Deux-Ponts et Schaffhouse. Ils resteront cinq à six jours ici. Veuillez me mander si on leur permettrait de séjourner quelque temps dans votre canton […] Ils comptaient se rendre à Paris mais, avertis que leurs ennemis [die Jakobiner in Strassburg] en voulaient à leurs jours, ils ont été obligés de s’éloigner. Le massacre des prisonniers du 2 septembre prouve qu’on les avait bien avertis.
(«Seien Sie ohne Sorge wegen meiner Schwester [Sibylle de Dietrich-Ochs]. Sie ist gestern hier angekommen, mit ihrem Ehemann [Philippe-Frédéric de Dietrich] und ihrem Sohn [Fritz], unter dem Namen Didier. Sie sind [von Metz aus] über Zweibrücken, Frankfurt, Schaffhausen und Rheinfelden gereist. Sie hatten Passierscheine für Zweibrücken und Schaffhausen. Sie werden fünf bis sechs Tage hierbleiben. Teilen Sie mir doch bitte mit, ob man Ihnen erlauben wird, sich einige Zeit in Ihrem Kanton aufzuhalten […] Sie planten eigentlich nach Paris zu reisen, aber nach einer Warnung, dass ihre Feinde ihnen ans Leben wollten, waren sie gezwungen, das Land zu verlassen. Das Massaker an den Häftlingen am 2. September beweist, dass man sie gut beraten hatte.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 282, S. 375−376)
Kommentar: Ochs lässt sich nicht anmerken, welche Sorgen er sich um seine Schwester und ihre Familie machte. Philippe-Frédéric de Dietrich war vom Strassburger Jakobinerclub in Paris als Verräter denunziert worden. Nach dem 10. August 1792 (Tuileriensturm) erliess die Nationalversammlung ein Dekret, dass er sich persönlich in Paris vor Gericht zu verantworten habe. Zunächst leistete de Dietrich diesem Befehl folge und reiste in Begleitung seiner Frau nach Paris. Unterwegs − am 2. oder 3. September in Metz − entschloss sich das Ehepaar zur Flucht in die Schweiz, begleitet von ihrem ältesten Sohn Fritz, um sich einer drohenden Verhaftung zu entziehen. Ein zweiter Sohn blieb bei seinem Regiment in der Rheinarmee, ein dritter wurde einer Amme in Pflege gegeben. De Dietrich floh vor den Gewaltexzessen in Paris, nicht vor dem Prozess. In Basel kontaktierten sie Peter Ochs, logierten aber im Hotel Drei König unter falschem Namen, bis sie nach Winterthur weiterreisen konnten, wo de Dietrich seine Verteidigung vorbereiten wollte. Er stellte sich tatsächlich am 9. November 1792 in St. Louis den französischen Behörden, wurde verhaftet und – zusammen mit seiner Frau – in Besançon inhaftiert.
17. Januar 1794: Ochs an Leonhard Meister in Zürich
«[Ochs dankt für den Trost und die Teilnahme am Tod seines Schwagers, der am 29. Dezember 1793 in Paris guillotiniert worden war] J’ai été trop heureux. Il fallait que la Providence, à moins d’être injuste envers tant d’autres qui valent mieux que moi, me fît aussi subir des temps d’épreuves […] Je suis faible un instant et ma santé en souffre. Ce n’est que la réflexion qui me soulève. Je vous écris en état de convalescence. J’ai eu trois forts accès de fièvre, c’était le tribut à la nature. J’ai reçu une lettre de ma sœur. Les sentiments de mère et d’épouse combattent dans sans cœur. Cependant elle sent qu’elle est nécessaire à ses enfants […] Elle est encore en état d’arrestation. [Je lui ai envoyé un certificat qui déclare qu’elle va être réintégrer dans ses droits de bourgeoisie à Bâle [das sie durch die Heirat mit einem Nichtbasler verloren hatte] […] Je fais des vœux pour la paix. C’est d’ailleurs ce qu’il y a de mieux à faire pour les coalisés [d.h. die antifranzösische monarchistische Allianz unter Führung von Preussen und Österreich], à moins qu’il ne faille que la prophétie de Daniel, chap. VII, se réalise, et que trois rois soient abattus [vgl. Dan. VII, 23 24].»
(Steiner, Korr. I, Nr. 311, S. 408)
(«[Ochs dankt für den Trost und die Teilnahme am Tod seines Schwagers, der am 29. Dezember 1793 in Paris guillotiniert worden war] Ich war zu glücklich. Es war unvermeidbar, dass die [göttliche] Vorsehung, wenn sie nicht ungerecht gegen so viele andere sein wollte, die mehr wert sind als ich, mich auch Prüfungszeiten durchleben lässt […] Ich bin einen Moment lang schwach, und meine Gesundheit leidet darunter. Nur das vernünftige Nachdenken gibt mir halt. Ich schreibe Ihnen auf dem Weg zur Besserung. Ich habe drei starke Fieberschübe hinter mir, das war der Tribut an die Natur [d.h. an die dem Menschen von Natur aus zukommende Empfindsamkeit, das Herz]. Ich habe einen Brief von meiner Schwester erhalten. Ihr Herz ist noch hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen als Mutter und Ehefrau. Sie spürt jedoch, dass ihre Kinder sie jetzt brauchen […] Sie ist noch in Haft. Ich habe ihr eine amtliche Beglaubigung zugeschickt, dass sie in Basel wieder ins Bürgerrecht aufgenommen werde [das sie durch die Heirat mit einem Fremden verloren hatte] […] Ich wünsche mir nichts mehr als den Frieden. Das ist im Übrigen auch das Beste, was man für die Koalition [d.h. die antifranzösische monarchistische Allianz unter Führung von Preussen und Österreich] tun kann, vorausgesetzt, dass nicht die Prophezeiung in Daniel, Kap. VII, in Erfüllung gehen muss und drei Könige gestürzt werden [vgl. Dan. VII; 23−24].»).
Kommentar: Der Brief dokumentiert nicht nur Ochs’ tiefe Erschütterung über den Tod seines Schwagers auf dem Schafott und die lebensbedrohliche Lage seiner Schwester im Gefängnis in Besançon. Wir erhalten auch Einblick in sein Menschenbild; Gefühle gehören zur Wahrnehmung wie Sinneseindrücke. Sie sind Teil der «Natur» des Menschen. Sie reagieren auf Situationen und Ereignisse, die Menschen «erfahren», und gehören deshalb in den Bereich der Erfahrung, der Grundlage allen menschlichen Wissens. Wissen erarbeitet sich jeder einzelne durch vom Verstand geleitetes Nachdenken über diese Erfahrungen (réflexion). Dieses Nachdenken bringt Ochs und seine Schwester zurück in die Realität und zu ihren Verpflichtungen gegenüber anderen. Wir erhalten aber auch Hinweise auf Ochs’ persönlichen Glauben, der auch seine Interpretation der Französischen Revolution prägte. Er spricht von der göttlichen Vorsehung (Providence), die alles lenkt und den Fortschritt der Menschen will; von Schicksalsschlägen als göttlichen Prüfungen (épreuves), die den Menschen bereichern und stärken, weil er neue Erfahrungen macht und daraus – unter «Führung» der göttlichen Vorsehung − lernt, und vom Frieden, dem Ziel der von der göttlichen Vorsehung gelenkten Geschichte, eine Idee, die in der theologischen Tradition eng mit der von ihm zitierten Passage aus dem Buch Daniel verknüpft ist. Diese religiösen Aspekte von Ochs’ geschichtsphilosophischen Vorstellungen sind noch nicht untersucht.
31. Dezember 1794: Ochs an Leonhard Meister in Zürich
«M[onsieur] Le Comte [Wilhelm Bernhard] de Goltz, ministre plénipotentiaire du roi de Prusse, est arrivé dimanche [d.h. den 28. Dezember 1794] au soir et logé depuis hier au soir chez moi [d.h. im Holsteinerhof]. Vous ne sauriez croire que d’intrigues et [de] mensonges en a mis en œuvre pour empêcher qu’il n’acceptât un logement dans ma maison […] Samedi passé, [Theobald Jacob Justinus] Bacher [französischer Gesandtschaftssekretär in Basel] a donné un dîner au représentant du peuple [Alexandre] Besson et au major prussien, baron [Louis] de Meyerinck, précurseur du comte de Goltz. J’ai été de ce dîner; Besson était placé entre Meyerinck et moi. Le Prussien et le Français se sont enthousiasmés l’un pour l’autre, au point de se donner, au bruit de chansons patriotiques et des toasts, le baiser fraternel. Les convives ont applaudi à tout rompre. – Dieu veuille que la suite couronne un si bon commencement. J’ai fait mon devoir. J’ai commencé à rapprocher ce qu’on croyait irrapprochable. Le reste sera l’ouvrage de gens plus habiles que moi.»
(«Graf [Wilhelm Bernhard] von der Goltz, bevollmächtigter Gesandter des Königs von Preussen, ist am Sonntag [d.h. den 28. Dezember] gegen Abend angekommen und wohnt seit gestern Abend bei mir [im Holsteinerhof]. Sie würden es nicht glauben, was für Intrigen veranstaltet und Lügen in Umlauf gebracht wurden, um zu verhindern, dass er das Logis bei mir annähme […] Am vergangenen Samstag veranstaltete [der französische Gesandtschaftssekretär Theobald Jacob Justinus] Bacher ein Diner für den Volksrepräsentanten [Alexandre] Besson und für den preussischen Major [Louis] Baron von Meyerinck, den Vorgänger des Grafen von der Goltz. Ich war auch eingeladen; Besson sass zwischen Meyerinck und mir. Der Preusse und der Franzose begeisterten sich so füreinander, dass sie sich − zum Getöse patriotischer Lieder und Toasts − den Bruderkuss gaben. Die Mitgeladenen klatschten laut Beifall. – Gott wolle, dass ein so guter Beginn von glücklichen Folgen gekrönt werde. Ich habe meine Pflicht getan. Ich habe eine Annäherung zuwege gebracht zwischen dem, was sich scheinbar nicht annähern liess. Den Rest werden geschicktere Leute als ich zuwege bringen.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 340, S. 432−433)
Kommentar: Ochs war der geborene Diplomat und verfügte über weitverzweigte Kontakte, die ihm einen Einfluss verschafften, der seine Stellung als Stadtschreiber übertraf, aber auch viele Neider. Ochs war bereits im August 1794 von preussischen Unterhändlern kontaktiert worden, um Gespräche mit Frankreich wegen eines Separatfriedens zu vermitteln. Preussen gehörte der antifranzösischen Allianz an und musste die Verhandlungen möglichst lange geheim halten. Ochs war bekannt für seine guten Beziehungen zum französischen Botschafter in der Schweiz. Im Dezember begannen die Verhandlungen bei Ochs im Holsteinerhof, die schliesslich am 5. April 1795 zur Unterzeichnung des Friedens von Basel führten. Ochs war nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt, vermittelte aber die Kontakte und sorgte für das geeignete Umfeld und eine entspannte Atmosphäre. Ochs hat deshalb ein grosses Verdienst am Zustandekommen des Friedensabkommens. Die Hoffnung auf einen allgemeinen Frieden, den Ochs mit diesem Abkommen verband, erfüllte sich allerdings nicht.
21. Februar 1795: Sibylle de Dietrich-Ochs in Strassburg an ihren Bruder
«[…] Sois bien tranquille et pour ton capital et pour tes intérêts; tu sais que ta sœur et tes neveux ne te feront rien perdre […] De mon côté, je fais une proposition au Comité de législation [eine der 18 von dem Nationalkonvent in Paris geschaffenen Regierungskommissionen] très acceptable [betreffend der Rückerstattung der konfiszierten Vermögenswerte der Familie de Dietrich] et qui me mettra à même de remplir tous mes engagements [gegenüber den Gläubigern ihres Mannes] […] Je le te répète: sois tranquille; ta sœur, c’est ta sœur, et ces enfants ont les mêmes principes d’honneur et les mêmes sentiments pour leur oncle […] Sans cette circonstance j’aurais déjà volé dans tes bras, car tu sens le besoin que je dois avoir de te voir et t’embrasser. Je n’aurai que peu de jours à te donner, mais ce sera toujours une quinzaine de jours qui feront du bien au cœur d’une sœur qui t’aime et t’embrasse ainsi que tout ce qui soit cher [à toi, Ergänzung von Sara Janner] du fond de son cœur».
(«Mache Dir keine Sorgen weder um dein Kapital noch deine Zinsen; Du weisst, dass Deine Schwester und Deine Neffen Dich keinen Verlust machen lassen werden […] Ich von meiner Seite mache dem Comité de législation [einer der 18 von dem Nationalkonvent in Paris geschaffenen Regierungskommissionen] einen sehr annehmbaren Vorschlag [betreffend der Rückerstattung der konfiszierten Vermögenswerte der Familie de Dietrich], der mir gleichzeitig erlauben wird, allen meinen Verpflichtungen [gegenüber den Gläubigern ihres Mannes] nachzukommen […] Ich wiederhole es Dir: Sei ruhig, Deine Schwester – es ist Deine Schwester – und ihre Kinder haben dieselben Vorstellungen von Ehre und dieselben Gefühle für ihren Onkel […] Wenn diese Umstände nicht wären, ich wäre schon längst in Deine Arme geflogen, denn Du spürst doch das Bedürfnis, das ich haben muss, Dich zu sehen und zu umarmen. Ich kann Dir nur wenige Tage schenken, aber es werden doch immerhin zwei Wochen sein, die dem Herz einer Schwester guttun werden, die Dich und alles, was Dir lieb und wert ist, aus ganzem Herzen liebt und liebend umfasst.»)
(Steiner, Korr. I, Nr. 348, S. 439–440)
Kommentar: Erst im Oktober 1794, nach der Hinrichtung von Robespierre, war Sibylle de Dietrich-Ochs nach 22 Monaten Haft aus dem Gefängnis in Besançon entlassen worden. Seit Januar 1795 war sie wieder in Strassburg und begann, mit den zuständigen Pariser Behörden um die Rehabilitierung ihres Mannes und die Restitution der konfiszierten Familiengüter zu kämpfen. Gleichzeitig verhandelte sie mit den Gläubigern ihres Mannes, um die Rückzahlung der Kredite und Zinsen zu regeln. Peter Ochs hatte sein ganzes mütterliches Erbe, das einen bedeutenden Teil seines Vermögens ausmachte, in die elsässischen Eisenwerke seines Schwagers de Dietrich investiert. Die Verhaftung seiner Schwester und der Tod seines Schwagers waren deshalb nicht nur schwere emotionale Belastungen für Ochs; sie bedrohten auch seine ökonomische Existenz und damit seine politische Handlungsfähigkeit. Ochs’ Schwester war sich dieser Zusammenhänge bewusst.
5. März 1796: Ochs an Johannes (von) Müller in Wien
«Je te trouve fort heureux d’être à Wien (d.h. im Schutz und Dienst der antifranzösischen Allianz). Moi qui suis dans un pays neutre, je partage les malheures et les dangers des peuples en guerre. Notre position [in der Schweiz] est très critique. Souvent je ne sais que conseiller et ma prudence politique est aux abois. L’avenir n’offre malheureusement point de chances favorables. Les incorporations françaises et le partage de la Pologne qui leur sert de pendant me font craindre que les Suisses auront aussi leur tour [Ochs beunruhigen im Osten die Übermacht Russlands, im Westen Frankreich und England] Les raisons pour lesquelles je préfère que la France l’emporte sur l’Angleterre sont: 1° que l’égoisme mercantile de l’Angleterre rend son joug insupportable; 2° que, lorsque la France souffre, les Suisses souffrent aussi; 3° que les puissances continentales peuvent plus facilement réprimer les Français que les Anglais; 4° l’indépendance des Suisses est plus utile aux Français que leur incorporation départementale; 5° qu’il est plus aisé de gagner les Français par de bonnes paroles […] que toute autre nation; enfin 6° que les Anglais sont plus rusés, plus systématiques plus tenaces propositi [lat. hartnäckig im Verfolgen ihrer Ziele], plus discrets que les Français […]».
(Du bist sehr glücklich in Wien (d.h. im Schutz und Dienst der antifranzösischen Allianz). Ich teile als Bewohner eines neutralen Landes Unglück und Gefahren der im Krieg befindlichen Völker. Unsere Stellung [in der Schweiz] ist äusserst kritisch. Oft kann ich nur Empfehlungen geben, meine politische Klugheit und Einsicht hilft nicht. Die Zukunft zeigt unglücklicherweise kaum Möglichkeiten zu unseren Gunsten. Die französischen Gebietsinkorporationen und die Teilung Polens, die die Letzteren ausgleichen sollten, lässt mich fürchten, dass die Schweizer auch noch drankommen werden [Ochs beunruhigen im Osten die Übermacht Russlands, im Westen Frankreich und England]. Die Gründe, weshalb ich es vorziehen würde, wenn Frankreich über England überwöge, sind: 1. Der englische Egoismus im Handel macht das englische Joch unerträglich; 2. Wenn Frankreich leidet, leiden auch die Schweizer; 3. Die kontinentalen Mächte können Frankreich leichter in Schach halten als England; 4. Die Unabhängigkeit der Schweizer Eidgenossenschaft ist für Frankreich von grösserem Nutzen als ihre Angliederung als neues Departement; 5. Es ist einfacher, die Franzosen mit schönen Worten zu gewinnen […], als jede andere Nation; schliesslich 6. Die Engländer sind gerissener, gründlicher, hartnäckiger im Verfolgen ihrer Ziele und verschwiegener als die Franzosen […]».)
(Steiner, Korr. II, Nr. 3, S. 2−3)
Kommentar: Ochs teilt seinem Jugendfreund von Müller, der im Dienst des österreichischen Hofes steht, nicht nur seine Besorgnis über die politische Zukunft der Eidgenossenschaft als selbständigem neutralen Bund von Kleinstaaten mit (auf dem Hintergrund der Inkorporation der zum Reich gehörigen linksrheinischen Territorien und der dritten Teilung Polens), sondern auch seine tiefe Beunruhigung über den wachsenden Einfluss Englands auf dem Kontinent, eine so von ihm nicht vorausgesehene Folge des Friedens von Basel. Dieser geopolitische, nicht ideologische Aspekt seiner philofranzösischen Politik in den kommenden Jahren wurde bisher in der Forschung kaum in Betracht gezogen.
4. Juni 1796: Ochs in Paris an Bürgermeister Peter Burckhardt in Basel
«Je suis depuis une heure à Paris. Je partis [Montag, den 30. Mai] de Bourg-Libre [zwischen 1793 und 1815 Name von Saint-Louis] à 11 heures et croyais arriver ici hier vendredi. Mais un accident m’a fait perdre plus d’un jour, en sorte que je ne suis arrivé en cette ville qu’aujourd’hui samedi à 1 heure. Le moyen de la roue d’un grand chariot a donné contre mes roues et les ressorts de ma voiture avec une telle violence que j’ai pensé verser et voir ma voiture mise en pièces. J’en ai quitté heureusement pour un ressort et les rais d’une roue. Mais il a fallu du temps pour raccommoder ces choses tant bien que mal […] et à présent il faut que le charron et le maréchal arrangent le tout de manière à pouvoir au moins me ramener sain et sauf chez moi. Au reste, cet accident m’a paru servir d’emblème aux accidents politiques. Le gros char heurte dans son cour une frêle voiture, qui se tire d’affaire en réparant comme elle peut le mal qu’on a voulu lui faire».
(«Ich bin seit einer Stunde in Paris. Ich bin [Montag, den 30. Mai] um 11 Uhr in Bourg-Libre (heute: Saint-Louis) abgefahren und glaubte, gestern Freitag hier anzukommen. Aber ein Unfall hat mich mehr als einen Tag gekostet, sodass ich erst heute Samstag um 1 Uhr in dieser Stadt angelangt bin. Die Nabe des Rades eines grossen Karrens hat mit solcher Gewalt gegen die Räder und die Federn meiner Kutsche geschlagen, dass ich fürchtete zu kippen und meine Kutsche in Stücke gehen zu sehen. Ich bin glücklicherweise mit einer kaputten Federung und gebrochenen Speichen an einem Rad davongekommen. Aber es hat viel Zeit gebraucht, um alles mehr recht als schlecht zu flicken […] und gegenwärtig müssen der Wagner und der Stallmeister alles wieder so herrichten, dass ich wenigstens heil und gesund nach Hause komme. Im Übrigen scheint mir dieser Unfall ein Sinnbild für politische Zusammenstösse zu sein. Der grosse Wagen stösst in voller Fahrt gegen eine zerbrechliche Kutsche, die sich aus der Affäre zieht, indem sie das Übel, das man ihr angetan hat, so gut es eben geht, repariert».)
(Steiner, Korr. II, Nr. 16, S. 21)
Kommentar: Acht Tage nach seiner Wahl zum Oberstzunftmeister am 23. Mai 1796 war Ochs im Auftrag der Basler Regierung nach Paris gereist, um Missverständnisse betreffend die neutrale Haltung Basels und der Eidgenossenschaft aus dem Weg zu räumen, die im Direktorium, der neuen republikanischen Regierung in Paris seit Oktober 1795, entstanden waren. Eine scharfe Note des neuen französischen Aussenministers Charles-François Delacroix, in der er Basel und die übrige Eidgenossenschaft vorwarf, heimlich mit Österreich einen Angriff auf Frankreich vorzubereiten, hatte im April eine besonders für Basel gefährliche Krise ausgelöst: Frankreich drohte mit der Besetzung Basels und Teile des Fürstbistums. Ochs hatte namens Basels und der Eidgenossenschaft die Anschuldigungen in einem offiziellen Schreiben zurückgewiesen und sollte nun in Paris die Situation endgültig klären. Dass er sich über die realen Machtverhältnisse in diesem Konflikt keine Illusionen machte, zeigen seine Überlegungen zu seinem Unfall.
10. Dezember 1796: Ochs an Leonhard Meister in Zürich
«Nos frontières terrestres et aquatiques sont foulées par des troupes étrangères, et cannonnées ou bombardées presque sans interruption. En même temps on nous bombarde de lettres et de déductions. Grand Conseil, Petit Conseil, Conseil secret, audiences publiques et particulières se succèdent sans discontinuer. Je dors peut. Avant-hier j’écrivais encore lorsque j’entendis sonner cinq heures de la nuit. Nuit fatale du 30 novembre au 1er décembre [als österreichische Truppen über Basler Territorium marschierten und den der Festung Hüningen vorgelagerten Brückenkopf angriffen]. Nuit fatale sous plusieurs rapports! Qu’en sait-on chez vous et ailleurs en Suisse? Qu’en pense-t-on surtout ? Adieu, mon ami. Il est des moments où je déspère du salut de la patrie [Liste von präzisen Fragen zum Hüninger Zwischenfall] O mon ami! Quelles circonstances que celle où je me trouve, et voilà la fin de toute mes peines depuis 1789 [d.h. Ochs’ Bemühungen um die Neutralität der Eidgenossenschaft]».
(«Unsere Grenzen sind zu Land und Wasser dicht besetzt von fremden Truppen, und sie stehen unter fast ununterbrochenem Beschuss durch Kanonen und Bomben. Gleichzeitig bombardiert man uns mit Briefen und Situationsanalysen. Sitzungen des Grossen Rats, des Kleinen Rats, des Geheimen Rats, öffentliche Anhörungen und Privatkonferenzen jagen sich ohne Unterbruch. Ich schlafe wenig. Vorgestern war ich noch am Schreiben, als ich es 5 Uhr nachts schlagen hörte. Eine fatale Nacht, die Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember! [als österreichische Truppen über Basler Territorium den der Festung Hüningen vorgelagerten Brückenkopf angriffen]. In vieler Hinsicht eine Schicksalsnacht! Was weiss man davon bei Euch und in der übrigen Schweiz? Vor allem, was denkt man darüber? Adieu, lieber Freund. Es gibt Momente, da verzweifle ich am Wohl meines Vaterlands [Liste von präzisen Fragen zum Hüninger Zwischenfall] Oh, mein Freund! In was für Umständen finde ich mich wieder, voilà, das Ende aller meiner Bemühungen seit 1789 [d.h. Ochs’ Bemühungen um die Neutralität der Eidgenossenschaft]»).
(Steiner, Korr. II, Nr. 46, S. 44−46)
Kommentar: Die Wahl Ochs’ zum Oberstzunftmeister am 23. Mai 1796 erfolgte zwei Tage, nachdem Österreich den Waffenstillstand mit Frankreich vom 1. Januar 1796 aufgekündigt hatte. Als Ochs am 4. Juni in Paris ankam, hatte der Krieg bereits begonnen. Umso wichtiger war seine diplomatische Mission: die Beseitigung der Zweifel an der eidgenössischen Neutralität. Ochs’ Erfolg in Paris markiert den Höhepunkt seiner politischen Karriere. Nur wenige Monate später war alles infrage gestellt. Anders als in Italien verlief die Kampagne in der Markgrafschaft Baden für die Franzosen wenig erfolgreich. Sie mussten sich über den Rhein zurückziehen. Basel befand sich mitten im Kampfgeschehen, geschützt nur durch die Neutralität seines Territoriums. Der Erfolg der österreichischen Truppen in der Schlacht bei Schliengen am 24. Oktober gab der antifranzösischen Partei in Basel, Ochs’ politischen Gegnern, Auftrieb: Basler Offiziere unterstützten die österreichische Grenzverletzung bei Hüningen. Der Sturm auf den Brückenkopf wurde von den Franzosen aber abgewehrt. Als Konsequenz war Ochs’ Frankreichpolitik desavouiert und Basel akut bedroht durch französische Repressalien. Ochs brach in dieser Situation mit den hergebrachten politischen Spielregeln, die öffentliche Kritik an den Regierenden ausschloss. Mit seinem harten Vorgehen gegen die verantwortlichen Offiziere und seiner offenen Kritik an den politischen Auftraggebern in der regierenden Schicht Basels machte Ochs sich viele Feinde, auch unter Baslern, die ihn bisher unterstützt hatten.
13. Mai 1797: Ochs an Leonhard Meister in Zürich
«Les évènement des bailliage d’Italie [d.h. die revolutionäre Unruhe im heutigen Kanton Tessin, vgl. Kommentar] auront j’espère quelque influence sur notre manière de les gouverner; car il est impardonnable, et irréligieux [d.h. gegen die Gebote der christlichen Religion], de perpétuer l’odieux régime sous lequel ces pays existent. Au reste, en louant les représentants [d.h. Gesandte der eidgenössischen Tagsatzung, die die Vorgänge untersuchen sollten] de leur sagesse, je ne puis approuver le style de leur secrétaire. Je n’aime pas dans le style d’un Suisse les expressions de freiheitslustige, unglücklicher arbre de la liberté, Neuerungssucht, et ainsi du reste [alles zeitgenössische, revolutionskritische Begriffe]. Si nos pères n’avaient pas été désireux de liberté, enclins à tenter des nouveautés, et pleins d’enthousiasme pour tout signe quelconque d’indépendance, nous ne serions pas dans le cas d’avoir des sujets au delà des monts. Le secrétaire pouvait rendre les mêmes idées avec d’autres expressions».
(«Die Ereignisse in den italienischen Vogteien [d.h. die revolutionäre Unruhe im heutigen Kanton Tessin, vgl. Kommentar] werden, so hoffe ich, einigen Einfluss auf unsere Art haben, sie zu regieren; denn es ist unverzeihlich, und gegen die Religion [d.h. die religiösen Gebote der christlichen Religion], dieses verabscheuungswürdige Regiment fortdauern zu lassen, unter dem diese Landschaften leben. Im Übrigen, auch wenn ich die Besonnenheit der Repräsentanten [d.h. Gesandte der eidgenössischen Tagsatzung, die die Vorgänge untersuchen sollten] loben muss, kann ich den Stil ihres Sekretärs nicht billigen. Ich liebe in der Wortwahl eines Schweizers Ausdrücke wie ‹freiheitslustige›, ‹unglücklicher› Freiheitsbaum, ‹Neuerungssucht› [alles zeitgenössische, revolutionskritische Begriffe] etc. nicht. Wenn unsere Vorväter nicht den Wunsch nach Freiheit besessen hätten, nicht geneigt gewesen wären, sich auf Neuerungen einzulassen, und nicht voller Begeisterung für jedes Zeichen von Unabhängigkeit, wären wir [heute] nicht im Fall, Untertanen jenseits der Berge zu haben. Der Sekretär hätte dieselben Ideen ebenso gut mit anderen Ausdrücken wiedergeben können.»)
(Steiner, Korr. II, Nr. 68, S. 76−77, vgl. auch Nr. 77, S. 83)
Kommentar:
Am 1. Mai 1797 hatte Ochs im Grossen Rat eine Motion eingereicht, in der er die Befreiung der italienischen Vogteien gefordert hatte. Sie wurde mit Entrüstung zurückgewiesen. Hintergrund der Motion waren die Erfolge Napoleons in Oberitalien. Sie sollte den drohenden Verlust dieser Gebiete an Frankreich verhindern. Denn nach der Schlacht von Lodi am 10. Mai 1796 hatte Napoleon in der zu Österreich-Habsburg gehörigen Lombardei und im Grossherzogtum Mailand alle Feudalrechte aufgehoben und am 15. November 1796 die Transpadanische Republik proklamiert. Die revolutionären Ideen drohten auf das Gebiet der «ennetbergischen Vogteien» [Untertanengebiete, die von mehreren Kantonen gemeinsam verwaltet wurden, vgl. «gemeine Herrschaften») überzugreifen, z.B. durch die Aufrichtung eines Freiheitsbaumes in Campione, einer mailändische Exklave in den eidgenössischen Vogteien.
6. November 1797: Ochs in Basel an Frédéric-César de la Harpe in Paris
«Mais ce dont vous vous étonnerez peut-être, c’est qu’au moment où ces principes triomphent en France [d.h. die republikanischen Ideen nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V / 4. September 1797] […] ceux qui portent ces principes dans leur sein sont obligé en Suisse d’en faire une espèce de mystère. Par l’attachement pour eux, je suis dans le cas de les y inviter moi-même. J’éprouve tant de désagréments, même dans la personne de mes enfants, pour avoir avoué ces principes, et les avoir défendus et les défendre encore […] Je vois la France de mes fenêtres [im Holsteinerhof], et il faut que j’existe comme si j’étais à deux cents lieues de ses frontières. C’est une existence pénible. Ainsi je ne vois presque personne. Si j’excepte les fonctions de ma place [als Oberstzunftmeister, dem nach dem Bürgermeister obersten Repräsentanten der Stadtrepublik Basel], […] je ne fréquente depuis un an que quelques proches parents et trois et quatre amis sûrs […] Je ne prévois nulle époque ou mon cœur puisse prendre l’essor. Je suis un ressort destiné à exister dans un état de compression qui finira par le détruire, car ce n’est pas vivre, que de vivre ainsi […] Je trouve que le sujet d’un monarque […] ayant de quoi vivre indépendant est plus heureux d’un chef de république, qui n’ose pas être républicain avec effusion de cœur.»
(Sie werden vielleicht erstaunt sein, dass in dem Moment, in dem diese Prinzipien in Frankreich triumphieren [d.h. die republikanischen Ideen nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor V / 4. September 1797], in der Schweiz diejenigen, die diese Prinzipien in ihrer Brust tragen, gezwungen sind, daraus eine Art Geheimnis zu machen. Aus Anhänglichkeit zu ihnen, sehe ich mich im Fall, ihnen selbst dazu zu raten. Ich erlebe so viel Unerfreuliches, selbst von meinen eigenen Kindern, weil ich mich zu diesen Prinzipien bekannt, sie verteidigt habe und sie immer noch verteidige […] Ich sehe Frankreich durch meine Fenster [im Holsteinerhof], aber es ist nötig, das ich existiere, als wenn ich zwei hundert Meilen von seinen Grenzen entfernt wäre. Das ist ein mühseliges Leben. Deshalb sehe kaum jemanden. Wenn ich von meinen Amts- und Repräsentationspflichten [als Oberstzunftmeister, dem nach dem Bürgermeister obersten Repräsentanten der Stadtrepublik Basel] absehe […], verkehre ich seit einem Jahr nur noch mit einigen nahen Verwandten und drei oder vier zuverlässigen Freunden […] Ich sehe keinen Zeitpunkt, an dem mein Herz sich erheben könnte. Ich bin überzeugt von meinen Ideen, aber dazu verurteilt, in einem Zustand von Bedrückung zu leben, der mich schliesslich zerstören wird, denn das ist kein Leben, wenn man nur so leben kann […] Ein Untertan eines Monarchen, der genug hat, um unabhängig leben zu können, meine ich, ist glücklicher als der Chef einer Republik, der es nicht wagen kann, mit Herzblut Republikaner zu sein.)
(Steiner, Korr. II, Nr. 89, S. 93)
Kommentar:
Ochs war seit dem Prozess gegen die Basler Offiziere, die sich an der Grenzverletzung bei Hüningen beteiligt hatten (vgl. Brief vom 10. Dezember 1796) politisch und sozial isoliert. Der Staatsstreich in Frankreich vom 19. Fructidor, der den Wahlsieg der antirepublikanischen Kräfte vom März annulliert hatte, hatte die politischen Gegensätze unter der Basler Bürgerschaft verschärft. Ochs gab seine bisherige Neutralitätspolitik als überholt auf und vertrat öffentlich die Notwendigkeit einer Allianz mit Frankreich und der Befreiung der Untertanen (vgl. Brief vom 13. Mai 1797), weil er überzeugt war, dass nur eine politisch reformierte, mit Frankreich alliierte Eidgenossenschaft der Aufteilung ihres Territoriums zwischen Frankreich und Österreich-Habsburg entgehen könne. Ochs wusste, dass die «Patrioten» − so nannten sich die Revolutionsfreunde − eine Minderheit bildeten. Politische Reformen in der Schweiz waren nur möglich mit politischem Druck von aussen, d.h. mit der Unterstützung der französischen Regierung. Er suchte deshalb seit Oktober 1797 den Kontakt zu den in Paris im Exil lebenden Schweizern wie de La Harpe, um eine Kontaktnahme mit dem Direktorium vorzubereiten.
24. November 1797: Ochs in Basel an Frédéric-César Laharpe in Paris
«C’était un jour de bonheur. Buonaparte est arrivé à 11 h. et demie. Il a reçu notre députation. J’en étais. Nous avons dîné avec lui. Il était assis entre mon collègue [Bürgermeister Andreas Buxtorf] et moi [den zwei Basler Regierungschefs]. J’ai donc pu lui dire tout ce que j’avais sur le cœur. Il m’a compris à demi-mot […] Il a observé qu’à son passage par Lausanne tout était illuminé, et qu’il a entendu crier à plusieurs reprises: ‹à bas les émigrés!› [gemeint sind die ins Ausland geflüchteten, königstreuen französischen ‹Aristokraten›]. Il nous a dit que, si la France avait succombé, on aurait introduit à Bâle un gouvernement aristocratique et oligarchique [d.h. eine antirevolutionäre und proösterreichische Regierung], ou qu’on aurait fait un fief de l’Empire [gemeint ist Österreich-Habsburg] de notre canton […] Sachez aussi que Buonaparte n’a fait que passer par Berne et Soleure, tandis qu’il est resté ici six à sept heures […].»
(«Es war ein beglückender Tag. Bonaparte kam um halb elf Uhr an. Er hat unsere Deputation empfangen. Ich gehörte dazu. Wir haben mit ihm gespiesen. Er sass zwischen meinem Kollegen [Bürgermeister Andreas Buxtorf] und mir [den zwei Basler Regierungschefs]. Ich konnte ihm also alles sagen, was ich auf dem Herzen hatte. Er hat alles sofort verstanden, wenn ich es nur halb andeutete […] Er bemerkte, dass bei der Durchfahrt in Lausanne alles erleuchtet war und dass er mehrmals schreien hörte: ‹Nieder mit den Emigranten!› [gemeint sind die ins Ausland geflüchteten, königstreuen französischen ‹Aristokraten›]. Er hat uns gesagt, wäre Frankreich unterlegen, hätte man in Basel eine aristokratische und oligarchische Regierung [d.h. eine antirevolutionäre und proösterreichische Regierung] eingerichtet, oder aus unserem Kanton ein Lehen des Reichs [gemeint ist Österreich-Habsburg] gemacht […] Sie sollen auch wissen, dass Bonaparte in Bern und Solothurn einfach durchgefahren ist, während er sich hier sechs bis sieben Stunden aufgehalten hat […]».)
(Steiner Korr. II, Nr. 97, S. 111)
Kommentar: Ein Porträt von Marquart Wocher zeigt uns, wie der «Befreier» − so feierten die Untertanen bei seiner Reise durch die Schweiz Napoleon − damals ausgesehen hat. Ochs misstraute Napoleon bis zu dieser persönlichen Begegnung während des prächtigen Diners im Hotel Drei Könige im Anschluss an den offiziellen Empfang durch die Basler Regierung. Was Ochs mit dem General in Basel im Einzelnen besprochen hat und warum er seine Einschätzung änderte, wissen wir nicht, da Ochs alle Unterlagen und Briefe dazu vernichtet hat. Unklar bleibt besonders, ob er damals und später während der Verhandlungen in Paris wirklich überzeugt war, dass Napoleon seine Pläne, eine selbstständige Republik aus der alten Eidgenossenschaft zu machen, unterstützte, und nicht bereits vermutete oder in Kauf nahm, dass der General eine Besetzung der Schweiz plante. Wir wissen nur, dass Ochs überzeugt war, dass sich eine Zerstücklung des eidgenössischen Territoriums nur durch eine Allianz mit Frankreich verhindern liesse.
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