Gustav Steiner legte die Grundlagen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Peter Ochs. Er gab zwischen 1927 und 1937 Ochs’ Korrespondenz heraus und legte auch die erste auf Originalquellen beruhende Biografie vor. Er arbeitete diese aber nie zu einer selbstständigen Monografie aus. Sie ist in den umfangreichen Einleitungen zu den drei Korrespondenzbänden und den zahlreichen Anmerkungen der Briefedition enthalten.
Vor Steiners Briefedition waren nur Ochs’ gedruckte Werke und die Manuskripte der ersten 7 Bände der «Geschichte der Stadt und Landschaft Basel» auf der Universitätsbibliothek Basel (UBH NL 50) öffentlich zugänglich. Ochs’ persönlicher Nachlass mit der von Steiner publizierten Korrespondenz und die Manuskripte des letzten Bandes der Kantonsgeschichte mit der Darstellung der Revolution von 1798 waren in Familienbesitz und gelangten erst 1948, nach dem Tod von Eduard His-Eberle (1886−1948), als Depositum ins Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, als Teil des Familienarchivs Ochs / His (StABS PA 633).
Dr. Gustav Steiner, vor 1968
Aus «Basler Stadtbuch» 1968, im Nachruf von Valentin Lötscher, zwischen S. 16 und 17 (vgl. http://www.baslerstadtbuch.ch/stadtbuch/1968/1968_1234.html), keine Angaben zu Fotograf:in.
Gustav Steiner wuchs in einer Handwerkerfamilie in der Basler Altstadt auf. Als einziges von drei Geschwistern besuchte er das Humanistische Gymnasium und studierte Geschichte, Germanistik und Romanistik in Basel und Paris, eine Stadt, die er auch später immer wieder besuchte. Nach dem Mittellehrerexamen promovierte er 1905 und unterrichtete bis zu seiner Pensionierung 1941 Deutsch und Geschichte an der Oberen Realschule, seit 1930 Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium. Daneben forschte er zur Französischen Revolution, Helvetik, Mediation, Peter Ochs, Befreiung der Landschaft Basel 1798 und zur Basler Zunft- und Stadtgeschichte und betreute Ausgaben der Werke von Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer in der Reihe Birkhäuser Klassiker. Er war Präsident der Neujahrsblattkommission der GGG, Redaktor des Basler Jahrbuchs von 1936 bis 1964 und Zunftmeister der E. Zunft zum Goldenen Stern von 1932 bis 1965. Steiners Verständnis der Geschichte und der sozialen und politischen Funktion der Basler Zünfte ist stark geprägt von seiner Beschäftigung mit Peter Ochs und dessen Kantonsgeschichte, in der die Entstehung der Zünfte in der Basler Geschichte bis 1798 eine zentrale Rolle spielt.
Eine Biografie, die seine historisch-wissenschaftliche Arbeit und seine politische Haltung und publizistische Tätigkeit im zeitgenössischen Kontext darstellen würde, fehlt bisher. In den Nachrufen dominiert das Lokale und Steiners Engagement als Lehrer am Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium (heute Gymnasium Kirschgarten). Die ihn prägende Zeit der Jahrhundertwende und des Ersten Weltkrieges, die auch seine Haltung während des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges beeinflusste, sind in diesen Darstellungen nicht herausgearbeitet.
Die Erfahrung der kulturellen und politischen Spaltung der Schweiz auf dem Hintergrund des deutsch-französischen Gegensatzes während des Ersten Weltkrieges prägten seine Interpretation der Helvetik (Idee eines mehrsprachigen Einheitsstaates) und der Mediationszeit (Föderation mit gemeinsamen Verfassungsgrundlagen), vgl. Helvetismus. Er ergriff nach der völkerrechtswidrigen Besetzung der neutralen Staaten Belgien, Luxemburg und die Niederlande vehement Partei gegen das Deutsche Kaiserreich und setzte sich gleichzeitig für die Überwindung des durch den Ersten Weltkrieg scharf hervortretenden Gegensatzes zwischen deutscher und welscher Schweiz ein. Er war mitbeteiligt an der Gründung der Neuen Helvetischen Gesellschaft, die durch die berühmte Ansprache von Carl Spitteler (1845−1924) im Dezember 1914 «Unser Schweizer Standpunkt» in intellektuellen und literarischen Kreisen grossen Auftrieb erhielt. Das Verbindungsnetz der Studentenverbindung Zofingia, der Steiner seit 1898 angehörte, trug zur nationalen und internationalen Ausbreitung der Neuen Helvetischen Gesellschaft bei. Steiner setzte sich nach Ende des Krieges auch für die Schaffung des Völkerbundes ein. Auf kantonaler Ebene bemühte er sich um die Überwindung der Gegensätze zwischen Stadt und Land und die Wiedervereinigung der beiden Halbkantone.
Quellen:
Nachlass von Gustav Steiner auf dem Staatsarchiv (PA 301)
Fritz Grieder, Bibliographie Gustav Steiner (1878−1967) in BZGA 68/1968, S. 223−235
Nachruf von Valentin Lötscher im «Basler Stadtbuch» 1968, S. 9−15 unter: http://www.baslerstadtbuch.ch/stadtbuch/1968/1968_1234.html
Artikel von Hermann Wichers im HLS
Artikel von Kaspar Birkhäuser im Personenlexikon des Kantons Basel-Landschaft
Artikel Wikipedia
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